Christen und Muslime: Eine Schule für Respekt und Toleranz

Christen und Muslime: Eine Schule für Respekt und Toleranz
Friedlich stehen der kleine Pinocchio aus Holz und das Kamel aus Stoff auf dem Pult neben der Tafel. Ob die berühmte Marionette darauf schon einmal geritten sei, fragen die Kinder. "Natürlich", meint Bahija M'baya und erzählt mit Begeisterung von Pinocchio in der Wüste. Immer wieder lässt sie arabische Begriffe einfließen und fragt dann mal auf deutsch, mal auf arabisch nach dem Inhalt ihrer selbst erdachten Geschichte.
11.12.2009
Von Sabine Damaschke

"Koala", Koordinierte Alphabetisierung im Anfangsunterricht, nennt sich das Sprachprojekt an der katholischen Grundschule im Bonner Stadtteil Mehlem. Dabei geht Arabischlehrerin Bahija M'baya in den Deutschunterricht der Klassen, um die muslimischen Kinder aus den arabischsprachigen Ländern zu unterstützen. Außerdem erhalten sie nachmittags noch Arabischunterricht. Nebenbei lernen die deutschen Kinder spielend etwas Arabisch.

Am Anfang war von Chancengleichheit keine Rede

"Bei uns stehen die Sprachen, Kulturen und Religionen gleichberechtigt nebeneinander", sagt Rektorin Annie Kawka-Wegmann. Vor sechs Jahren hat sie das Konzept einer "bekenntnisorientierten Grundschule mit interkulturellem Profil" auf den Weg gebracht. "Als Christen haben wir meiner Meinung nach die Pflicht, für die Gleichberechtigung aller Kinder zu sorgen", betont sie.

An der Grundschule in Bonn-Mehlem hat die Hälfte der Schüler ausländische Eltern, viele stammen aus dem arabisch-sprachigen Raum. Noch vor sechs Jahren gingen sie auf die benachbarte städtische Gemeinschaftsgrundschule. An der katholischen Grundschule dagegen wurden überwiegend deutsche Kinder unterrichtet. "Bei uns gab es eine richtige Apartheid", erzählt Annie Kawka-Wegmann. "Die Kinder waren regelrecht sortiert, die Lehrer und Eltern der beiden Schulen gingen sich aus dem Weg."

Während an der Gemeinschaftsgrundschule kaum ein Schüler den Weg auf das Gymnasium schaffte, war es an der katholischen Grundschule die Mehrzahl. Von Chancengleichheit konnte also keine Rede sein. Seit 2003 sind beide Schulen zusammengelegt worden, die Leitung der neuen konfessionellen, interkulturellen Grundschule übernahm Annie Kawka-Wegmann.

Gegenseitiger Respekt und Toleranz

"Viele Eltern hatten damals Angst, ihre Kinder würden leistungsmäßig abfallen", erzählt sie. "Es war harte Arbeit, sie von unserem Konzept zu überzeugen, aber es hat sich gelohnt." Heute gibt es nicht nur die sprachliche Förderung, die vielen Migrantenkindern den Weg aufs Gymnasium ebnet. Im evangelischen, katholischen und islamischen Religionsunterricht lernen sie gegenseitigen Respekt und Toleranz.

"Mein Sohn hat regelmäßig die katholische Schulmesse besucht", erzählt Sophia Falchie. "Außerdem haben wir als ganze Familie die Weihnachts- und Osterfeste an der Schule mitgefeiert und dabei viel über das Christentum gelernt." Elternsprecherin Christine Hober wiederum nimmt mit ihrem achtjährigen Sohn Amadeus an den Ramadanfestlichkeiten teil. "Durch die Beschäftigung mit dem Islam ist mir mein eigener Glaube neu bewusst und wertvoll geworden", sagt sie.

"Einen Alleinanspruch auf Wahrheit haben wir hier nicht"

Ein friedvolles und respektvolles Miteinander der Religionen sei nur über persönliche Beziehung möglich, betont Annie Kawka-Wegmann. So versucht die Rektorin, Konflikte - etwa über die Teilnahme am Schwimmunterricht oder an Klassenfahrten - in jedem einzelnen Fall zu lösen. "Bei uns nehmen die meisten Mädchen daran teil." Aber sie dürften beim Schwimmen Leggins oder einen Anzug mit langen Ärmeln tragen und auf der Klassenfahrt zu Hause übernachten: "Es gibt Eltern, die dann den Fahrdienst übernehmen."

"Nicht ich habe recht oder du hast recht, diesen Alleinanspruch auf Wahrhaftigkeit und Wahrheit haben wir hier nicht", sagt die Pädagogin. Gerade diese Offenheit führe dazu, dass sich viele Eltern an der Schule engagierten - in der Hausaufgabenbetreuung, im Müttercafé oder auch in Koch- und Deutschkursen.

epd