Nobelpreis für deutsche Autorin Herta Müller

Nobelpreis für deutsche Autorin Herta Müller
Überraschung in Stockholm: Der Literatur-Nobelpreis geht an die deutschsprachige Autorin Herta Müller. Zuletzt erschien ihr Roman "Atemschaukel".

Herta Müller zeichne "mittels der Verdichtung der Poesie und Sachlichkeit der Prosa Landschaften der Heimatlosigkeit", erklärte die Akademie. Der mit rund 970.000 Euro dotierte Nobelpreis gilt als höchste internationale Auszeichnung für Literatur. Er wird am 10. Dezember verliehen. Bundespräsident Horst Köhler und Kanzlerin Angela Merkel (CDU) gratulierten der Schriftstellerin.

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Müller gilt als "Chronistin des Alltagslebens in der Diktatur", die ihre Kindheit in Rumänien als Schule der Angst durchlebt hat und davon in ihren Werken beredet und bedrückend Zeugnis ablegt. Seit Anfang der 90er Jahre und der Übersetzung ihrer Werke in mehr als 20 Sprachen gehört Müller mit Büchern wie "Der Fuchs war damals schon ein Jäger", "Herztier" und "Heute wäre ich mir lieber nicht begegnet" zu den wichtigen Autoren im internationalen Literaturbetrieb.

Das Lebenswerk der heute 56-Jährigen deutsch-rumänischen Autorin zeugt von schmerzhaften Erinnerungen an eine düstere Vergangenheit unter dem Ceausescu-Regime, dem die im seinerzeit deutschsprachigen Banat geborene Autorin erst 1987 entkommen konnte, als sie zusammen mit ihrem damaligen Mann Richard Wagner die Ausreise beantragte und nach Deutschland ausreiste.

Eingriffe der Zensur

Herta Müller wurde am 17. August 1953 in Nitzkydorf im Kreis Temeschwar im lange Zeit deutschsprachigen Banat in Rumänien geboren. Nach den Eingriffen der Zensur in ihr erstes Buch und wiederholten Verhören und Hausdurchsuchungen verließ Müller 1987 schließlich ihre Heimat und siedelte in das damalige West-Berlin über. Schon 1984 war im Westen ihr Erzählband "Niederungen" erschienen.

Der später folgende Prosaband "Reisende auf einem Bein" entstand 1989 bereits in West-Berlin und spiegelt das Fremdsein in der neuen Heimat wider. Der Alltag in einem totalitären System ist Thema ihres Romans "Der Fuchs war damals schon der Jäger" (1992). "Herztier" (1994) beschreibt das Leben der Oppositionellen in Rumänien. 2003 veröffentlichte sie (im Hanser Verlag) einen Essay-Band mit dem Titel "Der König verneigt sich und tötet" und 2005 die Text-Bild-Collagen "Die blassen Herren mit den Mokkatassen". 2009 erschien ihr autobiografischer Text "Atemschaukel", in dem sie den Alltag in sowjetischen Arbeitslagern beschreibt.

Müller erhielt bereits zahlreiche Auszeichnungen, darunter den Kleist-Preis, den Joseph-Breitbach-Preis, den Würth-Preis für Europäische Literatur und 2006 den Walter-Hasenclever-Literaturpreis. Seit 1995 ist Herta Müller Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung. Mit ihrem aktuellen Roman "Atemschaukel" steht sie auch auf der so genannten Shortlist des Deutschen Buchpreises, der in der kommenden Woche bei der Frankfurter Buchmesser verliehen wird.

Überrascht und bewegt

Die Preisträgerin zeigte sich in ihrer ersten öffentlichen Reaktion überrascht und sichtlich bewegt. "Ich glaube es noch immer nicht", sagte sie in Berlin. Sie sei jedoch überzeugt, dass die Auszeichnung ihre Arbeit nicht verändere: "An meiner Person wird das nichts verändern. Meine innere Sache ist das Schreiben. Das gibt mir Halt." Nach wie vor prägten sie ihre Erfahrungen in einem totalitären System. "Diktatur ist das Thema aller meiner Bücher. Die Literatur geht dorthin, wo die Beschädigungen einer Person sind", sagte Müller. Als sie 1987 in die Bundesrepublik kam, habe sie endlich wieder frei atmen können: "Dieses Land hat mich gerettet."

Bundespräsident Köhler schrieb in seinen Glückwunschtelegramm, Herta Müller habe "detailliert und ergreifend geschildert, was ein Unrechtssystem in den Herzen und Seelen der Menschen anrichtet". Als besonders glückliche Fügung bezeichnete es Köhler, dass die deutsche Autorin die höchste literarische Auszeichnung in dem Jahr erhalte, "in dem wir an das Ende der Diktaturen in Osteuropa vor zwanzig Jahren erinnern".

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sagte in Berlin, Müller gehöre zu den Autoren, die den Preis "mehr als verdient" hätten. Ihre Literatur speise sich "aus einer Lebenserfahrung, die von Diktatur, Unterdrückung und von Ängsten, aber auch von unglaublichem Mut spricht", so die Kanzlerin. 20 Jahre nach dem Mauerfall sei es "ein wunderbares Signal, dass so hochwertige Literatur und diese Lebenserfahrung mit dem Literaturnobelpreis gewürdigt wird".

Huber: Mahnerin gegen Diktatur

Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Bischof Wolfgang Huber, würdigte die Autorin als "unermüdliche Mahnerin gegen Diktatur und Unterdrückung". Es sei ihr besonderes Verdienst, "die Geschichte der Siebenbürger Sachsen, ein weithin wenig beachtetes Kapitel der Geschichte, auf bewegende Weise zu erzählen und einer internationalen Öffentlichkeit zu vermitteln". Es sei auch ein besonderes Zeichen, dass im 20. Jahr der friedlichen Revolution in Deutschland eine Autorin mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet werde, "die den Repressalien der rumänischen Diktatur ausgesetzt gewesen sei, so der Berliner Bischof. Herta Müller werde auch zu Recht als eine "politische Poetin" bezeichnet. Die Warnung vor der Unmenschlichkeit totalitärer Regime stehe im Vordergrund ihres Werkes.

Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) würdigte Müllers "ebenso beharrliche wie einfühlsame Auseinandersetzung mit den Verwundungen der deutschen und europäischen Geschichte". Die Schriftstellerin verdiene "eine viel breitere Aufmerksamkeit, zu der dieser Preis sicher beiträgt". Kulturstaatsminister Bernd Neumann (CDU) nannte Müller eine Schriftstellerin "von großer poetischer Kraft".

Chronistin des geteilten Europa

Der Deutsche Kulturrat nannte Müller einer der "wichtigsten Chronisten" des alten, durch die Machtblöcke geteilten Europa. Als "Chronistin des politischen Terrors" beschreibt auch die Kulturbeauftragte des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Petra Bahr, die Nobelpreisträgerin. Müllers poetische Empörung lasse die Leser nicht los, weil sie die Opfer der Gulags sprachgewaltig dem Vergessen entreiße, erklärte Bahr in Berlin.

Der Direktor des Leipziger Literaturinstitutes, Josef Haslinger, sprach von einer "großartigen Entscheidung" des Nobelpreiskomitees. Müller sei "eine der sprachmächtigsten Autorinnen deutscher Zunge", sagte er dem MDR Info. Zugleich zeigte er sich überrascht, dass die Wahl auf Müller gefallen ist: "Ich habe nicht damit gerechnet. Ich dachte, sie sei vielleicht noch zu jung." Vor allem gebe einen Rückstau bei großen amerikanischen Autoren. 

dpa/epd