Merkel "entfesselt", aber auch "vor schwierigem Spagat"

Merkel "entfesselt", aber auch "vor schwierigem Spagat"
Die Bundestagswahl beschäftigt die Presse im Ausland. Viele Kommentatoren sehen die Kanzlerin vor schwierigen Aufgaben. An der Bewertung des SPD-Debakels scheiden sich die Geister.

Die konservative britische Zeitung "The Times" begrüßt am Montag den Wahlsieg von Schwarz-Gelb unter dem Titel "Merkel entfesselt": "Merkels Wahlsieg nach der schlimmsten Rezession in Deutschland seit 60 Jahren ist ein Vertrauensvotum, mit dem kaum ein anderer amtierender Regierungschef heute in Europa rechnen kann. Der klare Sieg gibt ihr Zeit und Raum um unpopuläre Probleme anzupacken, so den deutschen Einsatz in Afghanistan. (…) Von dieser ruhigen und mächtigen Führerin sind kaum Überraschungen zu erwarten. Zu erwarten ist stattdessen ein neues Selbstvertrauen in Berlin, das allen Verbündeten Deutschlands nützen wird."

Beharrlicher FDP-Kurs belohnt

Die rechtsliberale dänische Tageszeitung "Jyllands-Posten" freut sich unter der Überschrift "Merkels Triumph": "Jetzt kommt Kohle auf den Wirtschaftsmotor. Das wird ganz Europa nutzen."

Die "Neue Zürcher Zeitung" lobt die FDP und deren Chef: "Bundeskanzlerin Merkel, deren Wiederwahl unbestritten war, hat durch das Votum der Wählerschaft jene Koalitionspartner erhalten, die sie sich gewünscht hatte. Dass die Fronten jetzt geklärt sind, ist maßgeblich auch das Verdienst der FDP und von deren hartnäckigem Chef Guido Westerwelle. Die Liberalen waren die Einzigen, die in den letzten Jahren nicht von ihren freiheitlichen Prinzipien abrückten, sondern versuchten, auch unter den düsteren Auswirkungen der schlimmsten Wirtschaftskrise seit langem so etwas wie Verantwortung und Disziplin in der Politik zu verankern. Dieser beharrliche Kurs ist jetzt von der Wählerschaft mit dem besten Resultat in der Geschichte der Partei belohnt worden, und es wäre zu wünschen, dass den Liberalen in der kommenden schwarz-gelben Koalition jene Rolle zufällt, die sie sich verdient haben."

"Strukturreformen zuverlässig verhindern"

Wenig euphorisch kommentiert die konservative Wiener Zeitung "Die Presse" die Perspektiven der künftigen Regierung unter Merkel: "Die Chance, sich als Reformkanzlerin zu profilieren, hat sie in ihrer ersten Amtszeit vergeben. Ihre Spielräume sind nun enger geworden. Die versprochenen Steuersenkungen werden sich beim 86- Milliarden-Defizit, das zu erwarten ist, kaum finanzieren lassen. Große Aufgaben stehen vor Deutschland: Es muss nicht nur den Schuldenberg abtragen, es muss auch sein Sozialsystem fit machen für eine vergreisende Gesellschaft, in der die Alterspyramide auf dem Kopf steht. Doch selbst wenn Merkel anpacken wollte: Es gibt da immer noch die bayerische CSU und die CDU-Ministerpräsidenten, die Strukturreformen verlässlich verhindern werden. Es wird wohl auch in der nächsten Regierung, ganz nach Merkels bevorzugter Fortbewegungsart, bei kleinen Schritten bleiben."

Vor einem schwierigen Spagat sieht die liberale Wiener Zeitung "Der Standard" Angela Merkel: "Da das Ziel, Nummer eins zu werden, erreicht ist, kann Merkel nun anfangen, zu regieren, nicht nur zu moderieren und mehr Profil entwickeln. Wie sich beim TV-Duell mit Steinmeier gezeigt hat, hätte sie gerne die Koalition mit der SPD fortgesetzt. Aber ihre Partei erzwingt ein Bekenntnis zu einer bürgerlichen Mehrheit. Die Pastorentochter Merkel muss nun den Spagat zwischen ihren christlichen Wurzeln und marktliberalen Versprechen der FDP schaffen. Als Vizekanzler wird Guido Westerwelle - erst recht gestärkt durch das historisch beste FDP-Wahlergebnis - deutlich forscher auftreten als Steinmeier und Franz Müntefering. Die FDP wird alles daran setzen, ihr zentrales Wahlversprechen - Steuersenkungen - durchzusetzen."

"Bitterer Sieg für Merkel"

Die linksliberale polnische Tageszeitung "Gazeta Wyborcza" betont das schlechte Abschneiden der CDU - und sieht eine neue Stabilität: "Es war ein wirklich bitterer Sieg für Angela Merkel. Auf die CDU stimmten nicht viel mehr als 30 Prozent der Wähler. Das ist eins der schlimmsten Ergebnisse in der Geschichte der Christdemokraten. Und eine persönliche Enttäuschung für Merkel. Obwohl sie sich als Kanzlerin bewährt hat, gewann sie weniger Wähler als vor vier Jahren. Schuld war der passive und farblose Wahlkampf, bei dem die Kanzlerin es vermied, die Gegner anzugreifen. Ihr Programm unterschied sich nicht viel von der SPD-Konkurrenz. Viele Deutsche hielten die Liberalen von der FDP für eine bessere Lösung für die Krisen-Zeit. (...) Die künftige Regierung hat eine Chance, stabil zu sein. Das ist wichtig, weil auf die Deutschen schwere Zeiten zukommen."

Die "Basler Zeitung" sieht das Ende der großen Koalition als grundsätzlichen Fortschritt: "Der Machtwechsel hin zu einer schwarz-gelben Koalition aus Union und FDP ist gut für Deutschland. Die deutsche Politik kann dann ihre Stärke überzeugend entfalten, wenn die Christ- und die Sozialdemokraten die Rollen von Regierung und Opposition unter sich aufteilen. Ob die neue Regierung unter Kanzlerin Merkel auch inhaltlich punkten kann, muss sich erst zeigen. Union und FDP sind das Projekt, das aus der Krise in die Zukunft führt, noch schuldig.!

SPD: Ungerecht abgestraft oder abgewirtschaftet?

Die römische Tageszeitung "La Repubblica" sieht das Fiasko der Sozialdemokraten bei der Bundestagswahl als ungerechtfertigt an: "Für die deutsche Sozialdemokratie und für die europäische Linke (deren älteste Partei die SPD ist) ist das Ergebnis mehr als bitter. Es bedeutet einen Einbruch von mehr als zehn Prozentpunkten verglichen mit der letzten Wahl. Und es ist der hohe Preis, der für vier Regierungsjahre zusammen mit der großen Mitte-Rechts-Partei bezahlt worden ist. Es ist aber auch ein Urteil der Wähler, das als ungerecht angesehen werden kann, da die 'große Koalition', ohne zu begeistern, das Land nicht ohne Verdienste durch die Krise gesteuert hat. Und die deutschen Sozialdemokraten sind dabei loyale Partner der Christdemokraten gewesen. Doch die Wähler haben entschieden, dass diese Formel nur eine vorläufige war und nicht andauern sollte."

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Die französische Regionalzeitung "Dernières Nouvelles d'Alsace" (Straßburg) sieht die Lage der SPD nicht allzu düster: "Der deutsche Konsens über die soziale Marktwirtschaft wird ohne die SPD weitergeführt werden, die über ihre Abwahl von der Macht nicht besonders unzufrieden ist, denn die Sozialdemokraten haben während ihrer Mitregierungszeit Strukturreformen durchgeführt, die die CDU niemals gewagt hätte."

Der "Tages-Anzeiger" aus Zürich schreibt: "Mit dem Machtwechsel ist Deutschland knapp der Blockade entgangen. Eine Fortsetzung der Großen Koalition, dann aber als Regierungsbündnis der Verlierer, wäre für das Land eine Katastrophe gewesen. (...) Für die Sozialdemokraten ist das Ergebnis allerdings ein Debakel. Sie haben abgewirtschaftet. Das schlechteste Ergebnis der Nachkriegsgeschichte ist die Quittung für ihr mutloses Lavieren im Umgang mit der Linkspartei und die verdiente Strafe für einen Wahlkampf ohne Esprit, ohne Elan und ohne realistische Machtperspektive. Für den gescheiterten Kanzlerkandidaten Steinmeier kommen nun die Tage der Wahrheit. Er muss zeigen, ob er tatsächlich das Zeug zum Kanzler gehabt hätte."

"Europäische Verpflichtung"

Die spanische Zeitung "El País" sieht nach der Krisenbewältigung nun die Zeit gekommen, dass Deutschland sich wieder stärker auf seine Vorreiterrolle in der EU besinnt:
"Die große Koalition geht mit einer positiven Reformbilanz in die Geschichte ein. Dank der Kompromissanstrengungen der beiden großen Parteien und der Fortsetzung der zuvor von rot-grünen Koalitionsregierungen begonnenen Politik war Deutschland tüchtiger als der Großteil der großen europäischen Länder und hat sich so mit besseren Ergebnissen der Krise entgegenstellen können. Der Preis dafür war mitunter ein Rückzug in die Innenpolitik und eine gewisse Erosion seiner europäischen Berufung und seiner pro-europäischen Einstellungen. Die Bestätigung Merkels im Kanzleramt und die liberale Wende, die nun kommt, wird der neuen Regierung einigen Handlungsspielraum eröffnen, der dazu dienen sollte, die europäische Verpflichtung Deutschlands, seine zentrale politische Rolle und seine Zugkraft als Wachstumsmotor zu stärken."

dpa/evangelisch.de