Aufklärer, Frankenstein oder Erlebnis-Anatom?

Aufklärer, Frankenstein oder Erlebnis-Anatom?
„Mer losse d´r Dom en Kölle, denn do jehööt hä hin“: dieser Kultsong wird von vielen Menschen am Rhein nicht nur gesungen, sondern geradezu geschmettert. Zweifelsohne ist er eine der Lokalhymnen der Domstadt. Doch das könnte sich bald ändern. Jedenfalls ist es nicht unwahrscheinlich, dass so manchem die Töne im Hals stecken bleiben. Der Grund: Ein zweiter Dom macht dem Original ab Samstag Konkurrenz: der „Körperwelten-Dom“ des Plastinators Gunther von Hagens.
23.09.2009
nrw.evangelisch.de / tig

„Frankenstein“ nennen die ihn die einen. „Leichenfledderer“ die anderen. Er selbst lässt sich gerne als „Robin Hood der Anatomie“, „Erfinder der Plastination“ und „Schöpfer der Körperwelten“ bezeichnen. Sicher ist: Gunther von Hagens hat 1977 die Plastination als Konservierungsverfahren erfunden. Sicher ist: Er hat Millionen von Menschen weltweit in seine Körperwelten-Ausstellung gelockt und damit nebenbei noch gutes Geld verdient. Sicher ist: Gunther von Hagens polarisiert.

Das war vor neun Jahren, als die Ausstellung zum ersten Mal in Köln gastierte, nicht anders. Doch während sich damals der Protest auf das Zurschaustellen von plastinierten Leichen konzentrierte, geht es diesmal tiefer. Unter die Gürtellinie, um genau zu sein. Das Kölner Ordnungsamt hat durchgegriffen und untersagte „die Ausstellung von menschlichen Plastinaten, welche Paare bei der Ausübung des Geschlechtsverkehrs oder in anderen sexuellen Posen darstellen, sowie von Teilplastinaten des menschlichen Körpers, welche auf die bloße Darstellung des Geschlechtsaktes reduziert sind“.

Von Hagens: Es geht um körperliche Selbsterkenntnis

Genau das hatte von Hagens im Kölner Körperwelten-Dom vor. Jetzt hat man ihm einen Riegel davor geschoben. Und das ist richtig und gut. Zugegeben: der Vorwurf der Leichenfledderei geht sicher zu weit. Immerhin haben die Probanden zu Lebzeiten einer Plastination ihres Körpers zugestimmt.

Eine Diskussion allein auf dieser Ebene griffe auch zu kurz. Immerhin ist es Gunther von Hagens erklärter Wille, die Besucher zu sensibilisieren, mit ihrem Körper pfleglich umzugehen. Von Hagens: “Im Plastinat erkennen wir uns selbst, unsere Verletzlichkeit und das Wunder, das wir sind. Diese körperliche Selbsterkenntnis entfacht ein neues, auf Gesundheit bedachtes Lebensgefühl, das unsere Herzen bewegt.“

Ob sich dieses neue Lebensgefühl jedoch beim Anblick zweier plastinierter kopulierender Menschen so recht einzustellen vermag, ist mehr als fraglich. Und hier kommt das Argument der Menschenwürde ins Spiel. Um es besser zu verstehen, ist es hilfreich, einen kurzen Blick auf das Verfahren der Plastination selbst zu werfen:

Alles wird in die didaktisch und ästhetisch optimale Haltung gebracht

Zunächst werden die Körper per Injektion chemisch fixiert, um den Prozess der Verwesung aufzuhalten. Zellwasser und lösliche Zellfette werden anschließend durch ein Lösungsmittel wie Azeton ersetzt. Durch Vakuum-Imprägnierung wird das Aceton durch reaktive Kunststoffe ersetzt. Schließlich wird das Präparat in die optimale ästhetische und didaktisch sinnvolle Haltung gebracht, bevor es durch Gas, Wärme oder UV-Licht gehärtet wird.

Doch genau hier liegt der Hase begraben. Es kann nicht sein, dass ein „öffentlicher Erlebnis-Anatom“ (so die Selbstdarstellung Gunther von Hagens auf dessen Internetseite) plastinierte Körper in die richtige Stellung bringt, nur um die vermeintlichen optischen Bedürfnisse der Besucherinnen und Besucher zu befriedigen und dabei die Kasse ordentlich klingeln zu lassen. Wer weiß: vielleicht hätte so mancher Körperspender seine Zusage zurück gezogen, wenn er zuvor gewusst hätte, dass einst mitten im Geschlechtsakt der Öffentlichkeit preisgegeben wird.

Das Wunder von Gottes Schöpfung

Warum um alles in der Welt soll Pornografie auf einmal öffentlich erlaubt sein, nur weil Zellwasser post mortem durch Kunststoffe ersetzt wurde? Um das Wunder von Gottes Schöpfung zu erahnen, das „Wunder, das wir sind“, brauche ich keinen plastinierten Penis und keine in Kunststoff gehärtete Vagina. Da reicht mir ein Blick in die Natur und auf lebendige bekleidete Menschen völlig aus. Oder eine Zeit der Stille in einer unserer großen Kirchen. Wegen meiner auch im Kölner Dom. Im Original, versteht sich. Denn der bleibt in Köln, auch wenn Gunther von Hagens Ausstellung Ende Januar 2010 weiter zieht.