Unwort des Jahres: "Sozialtourismus" klingt nach Freizeit

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Viele Menschen packen ihre Koffer und wandern in Deutschland ein. "Sozialtourismus" ist das Unwort des Jahres 2013.
Unwort des Jahres: "Sozialtourismus" klingt nach Freizeit
Das Unwort des Jahres 2013 lautet "Sozialtourismus". Mit diesem Begriff sei gezielt Stimmung gegen unerwünschte Zuwanderer insbesondere aus Osteuropa gemacht worden, sagte die Jury-Sprecherin Nina Janich am Dienstag in Darmstadt. Die Kombination von "sozial" und "Tourismus" sei besonders polemisch, weil es die Zuwanderung aus purer Not verharmlose und das Recht dazu verschleiere, führte Janich aus.
14.01.2014
evangelisch.de

Jurymitglied Stephan Hebel, freier Journalist, ergänzte gegenüber evangelisch.de, der Begriff sei ein "klassisches Unwort", weil er die Personengruppe der Zuwanderer pauschal diskriminiere. Außerdem sei der Wortbestandteil "Tourismus" mit Freizeit und Erholung assoziiert. Er unterstelle, dass die Zuwanderer aus Spaß nach Deutschland einwanderten. Das Wort ziele sehr stark auf die Ausbeutung der Sozialsysteme durch Zuwanderer ab. Doch es werde verkannt, dass viele dieser Menschen einen wertvollen Beitrag für die Gesellschaft leisteten, viele kämen nach Deutschland um beispielsweise Alte zu pflegen.

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Ein weiteres Kriterium bei der Wahl dieses Unwortes ist laut Hebel eine mögliche Verletzung der Menschenrechte. Menschen hätten ein Recht auf Freizügigkeit und dürften auswandern. Dieses Recht transportiere der Begriff "Sozialtourismus" nicht. Die Jury habe bei ihrer Wahl auch über das Wort "Armutszuwanderung" diskutiert, doch "Sozialtourismus" als die "deutlichere und unverschämtere Zuspitzung" empfunden. Hebel sagte, er wolle sowohl Politiker als auch die Medien dafür sensibilisieren, solche "Kapfbegriffe" nicht zu verwenden.

Eine unabhängige Jury aus Sprachwissenschaftlern, Journalisten und Schriftstellern hatte den Begriff aus 746 verschiedenen Vorschlägen aus dem In- und Ausland ausgewählt. Insgesamt hatten sich 1.340 Einsenderinnen und Einsender an der Wahl beteiligt.

Arbeitgeber profitieren von ihren Angestellten

Gebraucht hat den Begriff "Sozialtourismus" nach Janichs Aussage etwa der CDU-Politiker Günter Krings. Er ist seit vergangenem Dezember Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesinnenministerium und war zuvor Stellvertretender Fraktionsvorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Auch andere Politiker hätten den Begriff verwendet.

Die Jury benannte dieses Jahr keine weiteren Unwörter, führte aber das persönliche Unwort des jährlich wechselnden Jurygastes ein. Der Schriftsteller Ingo Schulze wählte die Begriffe "Arbeitnehmer" und "Arbeitgeber" als Unwörter. Die Begriffe verkehrten in dramatischer Weise die tatsächlichen Verhältnisse, erläuterte Janich: Wer die Arbeit leiste, werde zum Arbeitnehmer degradiert. Wer sie nehme und davon profitiere, werde zum Arbeitgeber erhoben. Wer den Begriff Arbeitgeber damit begründe, dass dieser die Arbeitsstelle zur Verfügung stelle, unterschlage, dass diese auch erst durch Arbeit geschaffen werden musste.

"Döner-Morde", "Herdprämie" und "notleidende Banken"

Das "Unwort des Jahres" wird seit 1991 von einer unabhängigen sprachkritischen Initiative gekürt. Zum "Unwort des Jahres" 2012 wurde "Opfer-Abo" bestimmt. Der Ausdruck des einst unter Vergewaltigungsverdacht stehenden Fernsehmoderators Jörg Kachelmann stellt laut Jury Frauen unter den pauschalen Verdacht, sexuelle Gewalt zu erfinden.

Zuvor wurden zu "Unwörtern" gewählt "Döner-Morde" (2011), "alternativlos" (2010), "betriebsratsverseucht" (2009), "notleidende Banken" (2008), "Herdprämie" (2007), "Freiwillige Ausreise" (2006), "Entlassungsproduktivität" (2005), "Humankapital" (2004), "Tätervolk" (2003) und "Ich-AG" (2002).