Filmkritik der Woche "Before Midnight"

Foto: epd/Prokino Filmverleih
Filmkritik der Woche "Before Midnight"
Nach "Before Sunrise" und "Before Sunset" wagt sich Regisseur Richard Linklater an die Fortsetzung der Liebesgeschichte von Jesse und Celine. In "Before Midnight" befindet sich die Beziehung an einem kritischen Punkt.
05.06.2013
epd
Frank Schnelle

Es beginnt an einem griechischen Flughafen. Der Familienurlaub neigt sich dem Ende zu und Jesse (Ethan Hawke) verabschiedet seinen halbwüchsigen Sohn aus erster Ehe, der vorzeitig zur Mutter in die USA zurückfliegt. Jesse versucht offensichtlich, ihm nahe zu sein, aber was er auch sagt und tut - Sohnemann hat längst anderes im Kopf und legt die Gleichgültigkeit des Pubertierenden an den Tag. Der große Vater-Sohn-Moment, den Jesse sich wünscht, findet nicht statt.

Der kleine Prolog bietet einen schönen Vorgeschmack auf die zentralen Themen von "Before Midnight", dem dritten Teil der Liebesgschichte von Jesse und Celine (Julie Delpy). Um Kommunikation geht es und um Probleme damit; letztlich auch um die Ernüchterung, wenn einer mehr oder anderes will als der andere. Richard Linklater erweist sich hier als Meister der alltäglichen Beobachtung. Alles wirkt echt, spontan, aus dem Leben gegriffen.

Der Anfang vom Ende?

Auch die beiden Vorläufer "Before Sunrise" und "Before Sunset" besaßen diese Qualität, lebten aber vor allem vom Zauber, der dem Anfang und der Jugend innewohnt. Beide erzählten von Zufallsbegegnungen und vom Sich-Verlieben, von Initiationen, die eine andere Dynamik und Intensität besitzen als der Alltag. Mit "Before Midnight" wagen Linklater, Hawke und Delpy sich an einen bedeutend schwierigeren Punkt in der Beziehungshistorie der Protagonisten heran - an den Moment, in dem die Liebe Risse bekommt und, wie Celine es formuliert, von dem man später vielleicht sagen wird, es sei der Anfang vom Ende gewesen.

Neun Jahre sind vergangen seit der letzten Begegnung in Paris (genauso viele wie zwischen dem ersten und dem zweiten Teil), und die Romantiker von einst weisen inzwischen Eigenschaften eines gesetzten Ehepaars auf. Erbarmungslos, rund eine Viertelstunde lang, richtet Linklater während der Autofahrt die Kamera auf sie, schneidet zwischendurch nur kurz weg. Jesse und Celine verhandeln alles: Beruf, Familie, Erziehung, Beziehung, Perspektiven, Geschlechterrollen. Dabei wird ihre Vertrautheit spürbar, aber auch die wachsende Ungeduld, die manchmal in Genervtheit umschlägt.

Szenen einer Ehe

Grandiose Dialoge haben Linklater, Delpy und Hawke da gemeinsam geschrieben, Gesprächsszenen einer Ehe, die zwischen großen und kleinen Fragen, leichten und schweren Gedanken changieren und ebenso speziell wie universell wirken. Die emotionalen Schwankungen im Miteinander, das permanente Aufeinanderzu und Voneinanderweg, die Attraktion und die Abstoßung - alles wird pointiert und zugleich unangestrengt auf den Punkt gebracht; wie seine Vorgänger besitzt dieser Film Charme und Witz, aber dazu auch Reife und Lebensklugheit, die dem Ganzen Tiefe und eine angemessene Schwere verleihen.

Wiederum spielt sich die Handlung innerhalb von 24 Stunden ab. Und das goldene Sommerlicht der Urlaubsinsel sorgt für ein ähnlich romantisches Setting wie einst die urbanen Metropolen Wien und Paris; das Pittoreske aber steht diesmal eher im Kontrast zur Gefühlslage des Paares. Bezeichnenderweise ist das Hotelzimmer, in dem die beiden eine romantische, kinderfreie Nacht verbringen wollen, anders als das schmucke ländliche Anwesen, in dem sie ihren Urlaub verbracht haben, ein charakterloser, fast geschäftsmäßiger Ort.

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Hier kommt es zu einem zwanzigminütigen Schlagabtausch, der erneut zwischen erotischer Faszination und gandenlosem Seelenstriptease schwankt. Schonungsloser als zuvor werden die Abgründe zwischen Jesse und Celine ausgelotet, kommen Gedanken und Haltungen zum Vorschein, die sonst eher unter den Beziehungsteppich gekehrt werden.

Sollte dieses einmalige filmische Langzeitexperiment in neun Jahren seine Fortsetzung finden, "Before Twilight" vielleicht, dann werden Jesse und Celine sich womöglich nach längerer Trennung wiedersehen. 

USA/Griechenland 2013, Regie: Richard Linklater. Buch: Julie Delpy, Ethan Hawke, Richard Linklater, Mit: Ethan Hawke, Julie Delpy, Seamus Davey-Fitzpatrick, Ariane Labed, Athina Rachel Tsangari, Yota Argyropoulou, Xenia Kalogeropoulou. Länge : 108 Min. FSK: 6.