Kann ein Sozialdemokrat Christ sein?

SPD-Parteitag in Bad Godesberg 1959
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1959 verabschiedete die SPD das Godesberger Programm. Darin heißt es, der demokratische Sozialismus habe seine Wurzeln in christlicher Ethik, im Humanismus und in der klassischen Philosophie. (V.l.n.r.: Erich Ollenhauer, Herbert Wehner, Alfred Nau, Fritz Erler, Carlo Schmid, Erwin Schoettle und Willi Eichler auf dem Parteitag in Bad Godesberg.)
Kann ein Sozialdemokrat Christ sein?
Die SPD wird 150 Jahre alt. Heute ist es für Sozialdemokraten kein Problem, sich zum evangelischen oder katholischen Glauben zu bekennen. In ihrer Anfangszeit war die sozialdemokratische Bewegung eher atheistisch eingestellt. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg schloss sich die Kluft zwischen Sozialismus und Kirchen.
23.05.2013
epd
Rainer Clos

Das durchschnittliche SPD-Mitglied ist ein 59 Jahre alter weißer evangelischer Mann mit Hochschulabschluss, der seit genau 20 Jahren der Partei angehört und im öffentlichen Dienst arbeitet. Dieses statistische Profil der gerade noch rund 477.000 SPD-Mitglieder war in der Wochenzeitung "Die Zeit" zu lesen - passend zu den Feiern der SPD, mit denen an die Gründung des "Arbeitervereins" vor 150 Jahren in Leipzig erinnert wird.

Die große Schnittmenge zwischen Genossen und Gläubigen hat für den ostdeutschen SPD-Politiker und Katholiken Wolfgang Thierse ein einleuchtendes Motiv: "Das ist auch gut erklärlich, weil der christliche Glaube eine starke Motivationsquelle ist für soziales und politisches Engagement."

Karl Barth: "Ein wirklicher Christ muß Sozialist werden"

Das war noch ganz anders, als sich die Arbeiterbewegung 1863 organisierte. "Von Anfang an nahm die Sozialdemokratie die Kirchen als Verbündete der herrschenden Gruppen in Staat und Gesellschaft wahr und damit als Gegner im Kampf um soziale Gerechtigkeit. Atheistische Vorstellungen aus der bürgerlichen Philosophie hatten zudem das Selbstverständnis schon der Vorläufergruppen der SPD geprägt", erklärt der SPD-Politiker und langjährige EKD-Synodenpräses Jürgen Schmude die lange vorherrschende Distanz zwischen der Arbeiterpartei und den Kirchen.

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Diese Kluft konnten auch einzelne "religiöse Sozialisten" nicht überbrücken, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts den Dialog mit der Sozialdemokratie suchte. Der württembergische Pfarrer Christoph Blumhardt (1842-1919), der sich öffentlich zum Sozialismus bekannte und der SPD beitrat, wurde angefeindet und gab auf Druck der Kirchenleitung das Pfarramt auf.

Nach dem Ersten Weltkrieg warben Theologen wie Karl Barth, Leonhard Ragaz, Eduard Thurneysen und Paul Tillich für ein neues Verhältnis von Christentum und Sozialismus. "Ein wirklicher Christ muß Sozialist werden (wenn er mit der Reformation des Christentums Ernst machen will!). Ein wirklicher Sozialist muß Christ sein, wenn ihm an der Reformation des Sozialismus gelegen ist", forderte Barth.

Godesberger Programm: Wurzeln in christlicher Ethik

In der Weimarer Republik konnte sich die SPD mit der Forderung nach einer völligen Trennung von Kirche und Staat nicht durchsetzen. Die Maxime "Religion ist Privatsache" prägte die Parteiprogramme bis 1925. Unter anderem die Erfahrungen der Zusammenarbeit von Sozialdemokaten und Christen im Widerstand gegen den Nationalsozialismus trugen dazu bei, die starren Fronten zu lockern.

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Die Annäherung förderte auch, dass die SPD sich nach 1945 von der ideologischen Politikbegründung verabschiedete. Ausdrücklich steht dafür das Godesberger Programm von 1959. Dort heißt es, der demokratische Sozialismus habe seine Wurzeln in christlicher Ethik, im Humanismus und in der klassischen Philosophie. "Der Sozialismus ist kein Religionsersatz." Thierse: "Godesberg, das war der Abschied von der atheistisch geprägten Weltanschauungspartei."

Auch personell intensivierten sich in der Nachkriegszeit die Kontakte. Evangelische Christen stießen nicht zuletzt aus Opposition gegen die Deutschlandpolitik Konrad Adenauers zur SPD, etwa die späteren Bundespräsidenten Gustav Heinemann und Johannes Rau. Die Annäherung an die katholische Kirche dauerte länger. Ein Hindernis waren die bischöflichen Wahlhirtenbriefe, in denen Katholiken das Kreuz bei den C-Parteien empfohlen wurde. Doch der SPD-Vorsitzende Willy Brandt stellte 1966 klar: "In der SPD hat der Katholik genauso Platz wie der Protestant."

Katholikin Nahles will keine "Rolle rückwärts"

Thematisch gab es vielfach Übereinstimmung zwischen SPD und evangelischer Kirche - in der Ost- und Deutschlandpolitik, in Friedens-, Entwicklungs- und Ausländerpolitik. Regelmäßige Gesprächskontakte zwischen SPD und beiden Kirchen sind mittlerweile ebenso selbstverständlich wie das kirchliche Engagement von führenden Sozialdemokraten. Die Initiative für eine sozialdemokratische Partei in der späten DDR ging von evangelischen Theologen aus, die Gründung erfolgte 1989 im Pfarrhaus von Schwante bei Potsdam.

Auf einige hundert Anhänger nur kann sich der kirchenkritische Flügel der SPD stützen, der sich 2010 als "Laizistische Sozis" formierte. Sie wollen die kirchenfernen Genossen organisieren. Doch Generalsekretärin Andrea Nahles schließt ein Zurück hinter Godesberg aus. Eine "Rolle rückwärts in das Zeitalter der Ideologien", in dem sich unterschiedliche Lager wie Feuer und Wasser bekämpft hätten, werde es in der SPD nicht geben, stellte die bekennende Katholikin klar.