Segen auf Oberdeck und Unterdeck

Bibelarbeit als Schiffwallfahrt
Foto: epd-bild/Stefan Arend
Am Oberdeck weht eine steife Brise.
Segen auf Oberdeck und Unterdeck
Die "Bibelarbeit als Schiffswallfahrt" am Freitagvormittag war voller Gegensätze: Lob und Klage, Natur und Zerstörung, Behalten und Loslassen. Ein Logbuch von der Elbe.
03.05.2013
evangelisch.de

"Nimm mich mit, Kapitän, auf die Reise", dröhnt in Dauerschleife aus dem Boxen im Schiff. Es schaukelt. Die MS Classic Queen legt vor der Fischauktionshalle ab. "Ahoi", begrüßt Pastor Frank Howaldt die  Passagiere. "Wir feiern diese Reise im Namen Gottes." Während draußen entlang der Elbe Container und Kiesberge vorbeiziehen, beten und singen die Wallfahrer den Kirchentagspsalm (Nummer 104) im Wechsel zwischen Oberdeck und Unterdeck. "Da ist das Meer, da so groß und weit ist, da ziehen Schiffe dahin… Gott, von deiner Liebe leben wir." Eine ungewöhnliche Mischung aus Fernweh und tiefer Geborgenheit macht sich breit - da vorn müsste gleich der Ozean anfangen!

###mehr-artikel###

Pastor Howaldt unterbricht die Stimmung jäh und erzählt von dem Dorf Altenwerder, das mal dort lag, wo jetzt an einem automatischen Hochleistungsterminal Schiffe im Akkord beladen. Die Bewohner sind weg, nur die Kirche steht noch. "Da tat es Elohim Leid, die Menschen auf der Erde gemacht zu haben." Lesungen aus dem Alten Testament, in denen es um Zerstörung und Fehlverhalten geht, wechseln sich ab mit "Kyrie eleison", dem Erbarmungsruf.

"Was richtig ist und was falsch, können wir nicht immer beantworten", sagt Howaldt. "Aber der Lebensstrom Gottes ist größer." Jetzt kommen die Texte, in denen Gott mit den Menschen Frieden schließt, in denen alles gut ist. "Ehre, Lob und Preis sei dir, Gott", singt das Schiff. Draußen fliegen Möwen über dem Wasser, am Oberdeck weht Wind ins Mikrophon.

"Du sollst dein Herz nicht verhärten"

Der Text zur Bibelarbeit steht im 5. Buch Mose im 15. Kapitel. Es geht um Gottes Gebot, den Armen in jedem siebten Jahr ihre Schulden zu erlassen. In der bäuerlichen Gesellschaft Israels gerieten die einfachen Menschen allzu leicht in Abhängigkeit, eine Missernte genügte um in die Schulknechtschaft zu rutschen.

Prof. Dr. Jan-Dirk Döhling bei der Auslegung von 5. Mose 15, 1-11 in der MS Classic Quen.

Die neue Regel lautete: "Wenn einer seinem Nächsten etwas geborgt hat, der soll's ihm erlassen und soll's nicht eintreiben von seinem Nächsten oder von seinem Bruder." Alle sieben Jahre – diese Regel aus der Landwirtschaft (alle sieben Jahre liegen Felder brach), gleichzeitig Höhepunkt der Schöpfungserzählung (Ruhe am siebten Tag) wird auf Kreditgeschäfte übertragen. Angesprochen ist im Text ein "Du", und das meint sowohl die ganze Gesellschaft als auch den Einzelnen, erläutert der Bochumer Alttestamentlicher Jan-Dirk Döhling.

"Du sollst dein Herz nicht verhärten, … sondern deine Hand auftun." Wer kann sich heute von der Aufforderung zum Erlass ansprechen lassen? Der Bedürftige wird im Bibeltext als Bruder bezeichnet, und von der Verwandtschaft, so Döhling, können wir uns auch heute nicht distanzieren. Von der Vision einer geschwisterlichen Gesellschaft ist die Rede. Die Hartz-IV-Familie geht mich etwas an, könnte man jetzt zum Beispiel raushören.

Geteilter Segen fließt zurück

Zurück zu den Kreditgebern im alten Israel. Wie sollten sie zum Verzicht motiviert werden? Vielleicht durch die Verheißung, die der alttestamentliche Text auch enthält: "Der Herr wird dich segnen, wenn du gehorchst", geteilter Segen fließt reichlich zurück. Der Gedanke funktioniert nur, wenn man Wohlstand als Segen begreift – auch heute. Um auf diesen Segen zu hoffen, braucht es einen Vertrauensvorschuss – also so etwas Ähnliches wie einen Kredit an Gott. 

###mehr-links###

Die MS Classic Queen schippert die Süderelbe hinunter, vorbei an Deichen, Gras und Bäumen, Wochenendhäuschen und teuren Villen. An Bord feiern die Wallfahrer das Abendmahl. Dann wird eine Luxus-Brotzeit aufgebaut: Brotberge, Käsescheiben-Stapel, Obst-Etagèren. Satt kommen die Bibel-Wallfahrer über die Norderelbe wieder in Hamburg an. Satt an Brot und an Gedanken über den Segen, der im Teilen und Loslassen liegt. Jeder behalte soviel er braucht.