Fremd und kriminell? Wider die Klischees über Roma

Roma-Familie in Italien
Foto: Stefano Dal Pozzolo/Contrasto/laif
Roma sind EU-weit Vorurteilen und Diskriminierungen ausgesetzt
Fremd und kriminell? Wider die Klischees über Roma
"Sinti und Roma neigen zu Kriminalität." Fast die Hälfte aller Deutschen stimmt dieser Aussage zu. Die Vorurteile gegen Roma sind vielschichtig. Immer wieder wird vor einer "Roma-Invasion" gewarnt, wenn Rumänien und Bulgarien uneingeschränkte EU-Mitglieder werden. Ein Blick hinter die Klischees des sogenannten Antiziganismus.
22.04.2013
evangelisch.de

Sinti und Roma sollten "aus deutschen Innenstädten verbannt werden", sagt mehr als jeder vierte Deutsche. "Sinti und Roma neigen zu Kriminalität", fast die Hälfte aller Deutschen stimmt dieser Aussage zu. 40 Prozent möchten "nicht in der Nachbarschaft von Sinti und Roma wohnen". Wie weit verbreitet Vorurteile und Klischees gegenüber Roma und Sinti sind hat eine Studie im Dezember 2012 ergeben.

Der Europarat schätzt, dass es in Europa etwa zehn Millionen Roma gibt, in Deutschland etwa 120.000 Roma. Das sind Schätzungen, da Roma nicht statistisch erfasst werden. Schließlich bezeichnet "Roma" eine Ethnie und keine Staatsangehörigkeit. In Rumänien leben die meisten Roma, rund 1,95 Millionen. In Bulgarien 750.000, in Spanien 700.000. Deutschland steht in der Statistik an 12. Stelle.

Kommt die "Roma-Invasion"?

Die meisten Roma kommen aus Rumänien und Bulgarien. 2011 lebten rund 160.000 Rumänen (94.000 Bulgaren) in Deutschland. 2007, dem Jahr des EU-Beitritts 85.000 (47.000 Bulgaren). 2004 waren es 73.000 (39.000 Bulgaren). Ein Drittel der Rumänen bleibt weniger als ein Jahr in Deutschland, im Durchschnitt 2,8 Jahre. Die meisten Menschen ohne deutschen Pass, die hier leben, kommen aus der Türkei, aus Italien und Polen. Auf dem neunten Platz liegen rumänische Staatsangehörige – hinter den Österreichern.

###mehr-links###Rumänen und Bulgarien sind seit 2007 EU-Mitglieder. Allerdings gilt für sie bislang die eingeschränkte Freizügigkeit. Das bedeutet, Rumänen und Bulgaren dürfen sich in der EU frei bewegen und aufhalten – drei Monate lang. Deutschland hat bestimmte Beschränkungen eingeführt. Wer länger bleiben will, muss eine Arbeitserlaubnis beantragen oder sich selbstständig machen. Wer arbeitet oder ein Gewerbe angemeldet hat, darf länger als drei Monate in Deutschland bleiben. Wer weder arbeitet noch selbstständig ist, muss eine Krankenversicherung vorweisen und seine Existenz selbst sichern. Diese Bedingungen gelten noch bis zum 31.12.2013. Tritt die volle Arbeitnehmerfreizügigkeit in Kraft, warnen manche Politker vor einem Ansturm. Der wurde auch im Fall von Polen befürchtet - und blieb aus.  

Bulgarien und Rumänien haben mit über 22 Prozent die höchste Armutsgefährdungsquote der EU. Eine Person ist dann "armutsgefährdet", wenn sie weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens der Gesamtbevölkerung des Landes, in dem sie lebt, zur Verfügung hat. Bundesinnenminister Friedrich sagte Anfang des Jahres: "Wenn jemand in ein anderes Land kommt, um dort sich in die soziale Hängematte zu legen, dann hört der Spaß auf. Und das ist eine leider nicht unbeträchtliche Zahl, die hierher kommen, um abzusahnen. Das können wir nicht akzeptieren. Und zwar weder aus Bulgarien noch aus Rumänien."

Die Zahlen sagen etwas anderes. In Deutschland arbeiten die meisten Rumänen und Bulgaren und bekommen kein Geld vom Staat. 7,5 Prozent der Bevölkerung beziehen Sozialhilfe, 12,7 Prozent der Ausländer. Bei Rumänen und Bulgaren liegt der Anteil bei 10,4 Prozent.

Hilfe von Pfarrer Anghel

Wie schwer es ist, hier Fuß zu fassen, bekommt Pfarrer Stefan Anghel hautnah mit. Der rumänisch-ortodoxe Pfarrer hilft auch Rumänen, die nach Deutschland kommen. Vor dem Gemeindezentrum in Offenbach steht ein Auto, darin lebt seit Tagen ein rumänisches Ehepaar. Roma? Das würde gut ins Klischee des "fahrenden Volkes" passen. "Nein, das sind Rumänen, die hier Arbeit finden wollen, aber noch kein Geld für eine Wohnung haben", sagt Anghel. In den Räumen der Gemeinde haben bereits drei Rumänen Unterschlupf gefunden. Ein Bett, fließendes Wasser – und Hilfe aller Art bekommen sie bei Pater Anghel.

###mehr-artikel###In dem Raum, wo nachts die Neuankömmlinge schlafen, findet tagsüber Deutschunterricht statt. Vier Männer zwischen 25 und 35 lernen hier das Nötigste, "Nebenkosten, Kaltmiete, Krankenversicherung". Sie alle sind erst seit wenigen Monaten in Deutschland, haben Arbeit, leben mit vier, fünf Mann in einer Wohnung. Sie sind zufrieden. Nur wenn sie von ihren Frauen und Kindern erzählen, die in Rumänien geblieben sind, senken sie hilflos den Kopf.

Wer die Sprache spricht, kommt besser zurecht. Das hat Pfarrer Anghel früh erkannt. Jetzt liegen im Offenbacher Rathaus Info-Broschüren auch auf Rumänisch aus. Anghels Telefon klingelt stündlich. Er hilft, wo er kann. Bestimmt ist sein Arbeitsaufwand für Roma am größten, oder? "Die Roma-Familien aus Offenbach kommen selten zu mir. Die bleiben lieber unter sich", sagt er. Außerdem seien das doch nur ein paar Familien. Die rumänischen und bulgarischen Arbeitsmigranten, die für Dumpinglöhne auf Baustellen anheuern und hohe Preise für eine schäbige Matzratze in Abbruchhäusern zahlen, die machen ihm viel größere Sorgen. Ohne Krankenversicherung, ohne Rentenversicherung schuften sie tagtäglich in Jobs, die viele Deutsche nicht machen wollen.

Erst verfolgt, dann vernichtet

Auch bei Sabine Ernst ist man an der falschen Adresse, um eine Bestätigung von Vorurteilen zu bekommen. Ernst leitet "Schaworalle": Schule, Kindergarten und Hort für Roma-Kinder in Frankfurt. Anfangs hatte der Förderverein Roma große Probleme, Räume zu finden. "Sobald die Vermieter 'Roma' hörten, winkten sie ab", erzählt Ernst, für die es wichtig ist, dass sich Kinder und Eltern wohlfühlen in der "Schaworalle", dann lernten sie leichter.

Häufig erkennen die Großeltern den Sinn von Bildung nicht an. Zu oft habe diese Generation in Rumänien aber auch in Deutschland zu spüren bekommen, dass Roma keine Bildung zugetraut wird. Oder sie hatten eine Ausbildung, wurden aber trotzdem diskriminiert: "Roma sind äußerst wachsam bei Diskiminierung und aufgrund der negativen Erfahrung in der Vergangenheit bis heute auch sehr empfindlich." Das ändere sich derzeit aber radikal. "Roma wurden erst verfolgt, im Zweiten Weltkrieg vernichtet. Jetzt wollen die Eltern, dass es ihren Kindern einmal besser geht."

Schaworalle nimmt Rücksicht auf die Traditionen der Familie. "Bei den Roma steht die Großfamilie im Mittelpunkt. Stirbt die Oma, fährt die gesamte Familie eben für Wochen nach Rumänien", sagt Ernst. Komme der Schüler dann zurück, erhält er keine Sanktionen sondern darf weiterlernen. Der Unpünktlichkeit ihrer Schüler entgegnet "Schaworalle" mit einer obligatorischen Nachmittagsstunde, in der der Stoff wiederholt wird und Hausaufgaben gemacht werden. Die kämen oft zu kurz in einer Großfamilie mit mehreren Generationen in einer Wohnung.

"Es wird zu viel auf die Defizite geschaut"

Normale Schulen schauten zu oft auf die Defizite der Schüler, so Ernst: "Weil ich aber jedes Kind persönlich kenne und meist die Eltern schon bei mir zur Schule gegangen sind, weiß ich meist, wann es einfach Faulheit ist oder aber echte Probleme hinter schlechten Leistungen stecken."

Auch Ernst kennt Probleme im Umgang mit Roma. Einige Städte haben sichtbare Probleme, kriminelle Banden treiben ihr Unwesen. Auf der anderen Seite geben drei Viertel der deutschen Sinti und Roma in Deutschland an, häufig diskriminiert zu werden.

Pfarrer Stefan Anghel steht im Hof des Offenbacher Gemeindezentrums, er muss los zum Gottesdienst. Er blickt auf das Auto vor der Einfahrt, in dem das rumänische Ehepaar lebt, und seufzt: "Kein Mensch verlässt seine Heimat ohne Grund und Not."