Filmkritik der Woche: "360"

Foto: epd/Prokino Filmverleih
Mit seiner Kombination von kleinen Geschichten und großer Erzählung hat der Brasilianer Fernando Meirelles einen Episodenfilm über die Liebe gemacht. Denn hier geht es um das Leben und Lieben verschiedener Menschen rund um die Welt, die alle miteinander auf irgendeine Art und Weise miteinander verbunden sind.
Filmkritik der Woche: "360"
Liebe und Triebe im Panoramablick
Von Wien über London nach Denver und Paris - Regisseur Fernando Meirelles verkettet in seinem Reigen "360" Geschichten über Liebe und Sehnsüchte rund um den Globus. Ein Episodenfilm mit Gänsehautmomenten, aber auch einigen Drehbuchkurzschlüssen.

Bei Episodenfilme weiß man nie, was als nächstes kommt: Die Spannung ist auch der Erwartung geschuldet, wie das nächste Kapitel wird. Die eigentliche Kunst besteht aber in der Kombination von kleinen Geschichten und großer Erzählung. Fernando Meirelles Film "360" verspricht den Panoramablick schon im Titel. Es geht um Gefühle, um Liebe, Triebe und Sehnsüchte, die sich von einer Person zur nächsten rund um den Globus verketten.

Bereits in seinem gefeierten internationalen Debüt "City of God" verschachtelte der brasilianische Regisseur Meirelles mit traumwandlerischem Instinkt Zeit, Raum und Hunderte Darsteller zum Wimmelbild einer Favela in Rio de Janeiro. In seinem neuen Episodendrama, das von den Erlebnissen einer Hure eingerahmt wird, beruft er sich auf Arthur Schnitzlers "Reigen". Der Film beginnt mit der Slowakin Mirka, die sich in Wien für einen exklusiven Callgirl-Ring casten lässt und dann aufgeregt zu ihrem ersten Freier in Bratislava fährt. Ihr Date mit dem Londoner Manager Michael geht aber schief und hat für ihn unangenehme Folgen.

In London gibt inzwischen Michaels Ehefrau ihrem Lover, einem brasilianischen Fotografen, den Laufpass. Da hat sich dessen Freundin Laura aus Kummer über seine Untreue schon per Video verabschiedet und sitzt im Flieger zurück nach Rio. Mit ihrem netten Sitznachbarn, einem älteren Briten, strandet Laura wegen schlechten Wetters in Denver. Über Bande wird die Geschichte dann in Phoenix und Paris weitergesponnen, um schließlich mit einer hübschen Pointe bei der inzwischen sehr professionellen Mirka in Wien zu enden.

Doch nicht jede Episode funktioniert in diesem Film. "Ich hab einen echt süßen Typen getroffen", schreibt Laura (Maria Flor) in einem Briefchen an ihren Sitznachbarn. Tyler, der "süße Typ", trägt aber den Stempel "Ich bin ein Psycho" so dick auf die Stirn gedruckt, dass in der Realität jedes weibliche Wesen einen weiten Bogen um ihn gemacht hätte. Ben Foster spielt den entlassenen Sexualstraftäter mit der Käsigkeit und dem flackernden Blick eines lange Eingesperrten. Tyler ruft angesichts der weiblichen Versuchungen um ihn herum sogar verzweifelt seine Psychologin an. Doch die hübsche Laura muss ihn später so hartnäckig zum Sex animieren, als ob Dominique Strauss-Kahn das Drehbuch redigiert hätte. Die Episode stellt den Tiefpunkt des von Peter Morgan verfassten Skripts dar.

Immer wieder Gänsehautmomente

Auch sonst beweist Morgan einen erstaunlich grobmotorischen Stil. An mancher Stelle will er passend machen, was nicht passt. Etwa wenn ein Erpresser - Moritz Bleibtreu in einer seiner schmierigeren Rollen - plötzlich zum Kumpel wird. Auch Meirelles' Lieblingsschauspielerin Rachel Weisz bleibt als Redakteurin eines Hochglanzmagazins so nichtssagend wie Jude Law als ihr reumütiger Gatte.

Aber trotz Drehbuchkurzschlüssen und klischeegetriebener Figuren wie der eines osteuropäischen Mafiosos kommt keine Langeweile auf. Meirelles gelingen immer wieder Gänsehautmomente, in denen die Luft elektrisch aufgeladen scheint. Wie kein anderer kann er das Prickeln menschlicher Interaktion, Emotionen und Sinnlichkeit auf die Leinwand transportieren. Und großartige Darsteller wie Jamel Debbouze als liebeskranker Witwer in Paris lassen sich die Gelegenheit für Szenen eindrücklichen Seelenschmerzes nicht entgehen.