Es war die Idee von Sophie Collard, nicht auf die städtischen Mitarbeiter zu warten, die die Einkaufsstraßen der britischen Metropole wieder ansehnlich machten. Sie suchte nach Bewohnern in London, die den Schaden beheben wollten. Über den Kurznachrichtendienst Twitter organisierte Collard die ersten Aufräumaktionen, nachdem sie die Bilder der verwüsteten Stadtteile im Fernsehen gesehen hatte. Unter dem Stichwort "Riotcleanup" plante sie in wenigen Stunden die Aktion.
Zwei Jugendliche halfen ihr über Nacht und bauten eine Webseite für die Kampagne. "Wir hatten über fünf Millionen Zugriffe innerhalb weniger Stunden", sagt sie rückblickend. "Ich hätte niemals mit solch einem Erfolg gerechnet." Hunderte Freiwillige erschienen schon am nächsten Tag mit Besen, um die Spuren der Verwüstung zu beseitigen. "Wir wollten ein Signal um die Welt senden, dass England nicht dabei ist auseinanderzufallen, sondern dass es nur eine Minderheit ist, die randaliert."
Eine friedliche Demo schlug in Hass um
Der Tod von Mark Duggan, einem Mann aus dem Nord-Londoner Stadtteil Tottenham, hatte das Chaos auf Großbritanniens Straßen ausgelöst. Der schwarze Familienvater war von der Polizei erschossen worden. Zuerst hieß es, Duggan habe auf die Polizei geschossen, doch die unabhängige Untersuchungskommission hat ermittelt, dass aus seiner Waffe wohl nicht geschossen wurde.
###mehr-links###
Kurz nach seinem Tod demonstrierten seine Familie und Freunde friedlich vor einer Polizeiwache in Tottenham. Sie forderten, der Familie endlich zu sagen, was genau passiert ist und warum Mark Duggan sterben musste. Doch die friedliche Demonstration schlug in Hass und Gewalt um, die mehrere Tage lang zu massiven Ausschreitungen führte und sich wie ein Lauffeuer zuerst in London, später auch in anderen Teilen des Landes verbreitet hat.
Mehrere Menschen starben, zahlreiche weitere wurden verletzt. Viele Geschäftsleute wurden in den Ruin getrieben, nachdem ihr Geschäft geplündert oder angezündet worden war. Viele Versicherungen zahlten nur zögerlich oder gar nicht. Ein von der Regierung eingesetzter Hilfsfonds war für manche nur ein Tropfen auf den heißen Stein.
Überdreht, aber nicht gefährlich
Als die Stadt wieder aufgeräumt war, wollte Sophie Collard die guten Erfahrungen mit ihren Aufräumkampagnen weiter nutzen. "Ich wollte eine Webseite schaffen, die Menschen zusammen bringt, die etwas Gutes für die Gemeinschaft machen wollen, mit jenen, die Hilfe brauchen", sagt sie.
###mehr-artikel###
Der Premierminister und auch der Oppositionsführer versprachen ihr, sie bei weiteren Projekten zu unterstützen. Zum Jahrestag der Ausschreitungen geht jetzt ihre neue Webseite wewillgather.co.uk online, die Freiwillige und Hilfesuchende zusammen bringen möchte. "London ist manchmal ein bisschen wahnsinnig", sagt sie.
Die Stadt mit ihren acht Millionen Einwohnern sei manchmal schon sehr überdreht, aber dennoch nicht gefährlich. "Die Ausschreitungen vor einem Jahr hatten einen bestimmten Auslöser - die Menschen waren unzufrieden mit der Arbeit der Polizei, und eine kleine Minderheit hat völlig falsch darauf reagiert."
2.000 Menschen verurteilt
Diese Einschätzung bestätigt auch eine Studie der London School of Economics und der britischen Zeitung "The Guardian". Die Behandlung der Bürger durch die Polizei sei der Hauptauslöser der Krawalle gewesen, fanden die Forscher heraus. Viele der Plünderer und Zerstörer seien von einem Gefühl der Ungerechtigkeit getrieben gewesen, ergaben Interviews mit den Tätern. Viele hätten Geschäfte ausgeräumt, weil die Gelegenheit gerade so günstig war. Viele Täter kamen aus armen Gegenden der Stadt.
Mehr als 2.000 Menschen sind seit den Ausschreitungen verurteilt worden. Weitere 600 Menschen warten noch auf ihr Urteil. Rund ein Drittel der Verurteilten war zum Tatzeitpunkt jünger als 17.
Auch wenn sich die Situation der Jugendlichen seit den Ausschreitungen kaum verbessert hat, ist Sophie Collard dennoch optimistisch, dass so etwas so schnell in London nicht wieder passieren wird. "Und wenn doch, räumen wir eben wieder auf."