Olympia feiert das britische Gesundheitssystem

dpa/Christian Charisius
Artisten bei der Olympia-Eröffnungsfeier. Um 1.18 Uhr deutscher Zeit eröffnet die Queen die Spiele, seit 1.36 Uhr brennt auch das Olympische Feuer.
Olympia feiert das britische Gesundheitssystem
Politische Botschaften sind bei Olympischen Spielen nicht gern gesehen. Doch warb die Londoner Eröffnungsfeier unter der Regie von Danny Boyle angesichts eines drastischen Sparkurses für den Erhalt des Gesundheitssystems im Vereinten Königreich.
28.07.2012
epd
Christiane Link

Hunderte Krankenhausbetten, fast tausend Darsteller als Krankenschwestern und Pfleger im Stil der 40er Jahre verkleidet - das bot ein ungewöhnliches Bild bei der Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele. Doch Regisseur Danny Boyle hat dem britischen Gesundheitswesen ganz bewusst ein besonderes Denkmal gesetzt, indem er dem National Health Service (NHS) am Freitagabend in London einen prominenten Platz bei der Eröffnungszeremonie einräumte.

Rund zehn Minuten der mehr als einstündigen Show vor der Athletenparade widmete der Oscar-Preisträger Boyle dem NHS, dem staatlichen Gesundheitssystem in Großbritannien. Anders als in Deutschland ist es nicht durch Krankenkassenbeiträge, sondern hauptsächlich durch Steuern finanziert. Nur ein kleiner Teil kommt aus den Sozialabgaben der arbeitenden Bevölkerung.

Mit dieser Struktur ist der NHS eines der niederschwelligsten Gesundheitssysteme weltweit: Wer in Großbritannien dauerhaft lebt, darf den Dienst kostenfrei in Anspruch nehmen. Man muss sich nur bei einem Hausarzt registrieren und hat dann Zugang zum System. Dennoch hat der NHS einen vergleichsweise schlechten Ruf. Es gibt wegen der kostenfreien Behandlungen teilweise lange Wartezeiten bei nicht lebensbedrohlichen Erkrankungen. Zudem gilt der NHS als schlecht organisiert, was die Wartezeiten noch einmal verlängert.

Tanz der Krankenschwestern auch Signal für die USA

Dass Danny Boyle ausgerechnet den National Health Service zum Thema der Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele macht, kann durchaus als politisches Signal verstanden werden. Seit Jahren steht der NHS in der Kritik. Die konservative Regierung unter David Cameron hat sich zum Ziel gesetzt, das Budget des Gesundheitsdienstes massiv zu kürzen, das über die Jahrzehnte immer weiter angestiegen ist. Betrug der Haushalt des NHS bei seiner Gründung 1948 noch 437 Millionen Pfund, das sind nach heutigem Wert etwa neun Milliarden Pfund (11,5 Milliarden Euro), ist das Budget 2011/2012 auf 106 Milliarden Pfund (135,7 Milliarden Euro) gestiegen.

Nur wenige Tage vor der Eröffnungsfeier berichteten britische Medien, dass heute 4.500 Krankenschwestern, Hebammen und Gesundheitsberater weniger für den NHS arbeiten als noch vor zwei Jahren, bevor die Konservativen die Regierungsgeschäfte im Königreich übernahmen. Die massiven Kürzungen führten zu enormen Mehrbelastungen des Personals. Nur 24 Prozent der NHS-Mitarbeiter gaben bei einer Befragung an, dass ihr Krankenhaus ausreichend personell ausgestattet sei.

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Der Brite Danny Boyle sendete mit dem Tanz der Krankenschwestern auch ein Signal in die USA, wo Barack Obama versucht, ein nationales Gesundheitssystem zu etablieren. Sein konservativer Konkurrent Mitt Romney, der nach London gereist war, um die Eröffnungszeremonie zu sehen, ist ein Gegner der Gesundheitspläne des amerikanischen Präsidenten. Viele Amerikaner bezeichnen das britische Gesundheitssystem als sozialistisch.

Die britische Regierung versucht hingegen, die Defizite mit Privatisierungen im System zu bekämpfen. Krankenhäuser werden verkauft und zurückgemietet. Einige Krankenschwestern sind nicht mehr angestellt, sondern arbeiten als Selbstständige oder über eine Agentur. Ob das allerdings wirklich zu Einsparungen führt, ist fraglich. Einige NHS-Regionen machen mit der Anmietung ihrer eigenen Krankenhäuser schon heute massive Verluste.

Trotz der Kritik will die britische Regierung ihren harten Sparkurs durchziehen und den NHS nachhaltig reformieren. "Ist der NHS sicher?" soll Regisseur Danny Boyle den Premierminister gefragt haben, als er ihn vor der Olympia-Eröffnung besuchte. Die Regierung versichert immer wieder, an den Grundstrukturen des Systems festhalten zu wollen. Boyle hat mit seiner Olympia-Inszenierung den Druck auf die Konservativen noch einmal erhöht, dass sie dieses Versprechen halten.