Im Juli 1944 reiste ein junger schwedischer Diplomat mit denkbar heiklem Auftrag in das mit Hitler-Deutschland verbündete Ungarn. Als neuer Gesandtschaftssekretär sollte der 32-jährige Raoul Wallenberg versuchen, ungarische Juden vor der Ermordung zu retten. Mit diplomatischem Geschick und an Tollkühnheit grenzendem Mut gelang dem Schweden das fast Unmögliche. Abertausende Juden überlebten in Budapest bis zum Einmarsch der Roten Armee. Das Schicksal von Wallenberg selbst, dessen Geburtstag sich am 4. August zum 100. Mal jährt, verliert sich hingegen in den Kerkern der sowjetischen Geheimpolizei.
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Nach einem Architekturstudium in den USA und einigen Jahren im Dienst einer Handelsfirma hatte Wallenberg, der aus einer der einflussreichsten schwedischen Familiendynastien stammte, die Mission seines Lebens gefunden: Anfang 1944 war ein großer Teil der ungarischen Juden noch nicht in die Vernichtungslager deportiert worden. Zwar war Ungarns autoritärer Staatschef Miklos Horthy mit Hitler verbündet und ein Antisemit, doch dem Massenmord an seinen jüdischen Untertanen hatte er sich zunächst widersetzt. Auf massiven deutschen Druck hin begannen die Transporte im April.
"Die Lage ist aufregend und abenteuerlich"
Schon vor Wallenbergs Ankunft hatte die schwedische Gesandtschaft einzelnen Juden mit familiären oder geschäftlichen Beziehungen ins neutrale Schweden sogenannte Schutzpässe ausgestellt. Aus den Papieren ging hervor, dass ihre Besitzer eine Ausreise in das Königreich planten und solange unter dem Schutz der schwedischen Krone standen. Wallenberg und seine Mitarbeiter verteilten Tausende dieser Pässe.
Er brachte die Menschen in Schutzhäusern unter, die mit schwedischen Flaggen drapiert wurden. Er konnte den Ungarn abringen, dass seine Schützlinge den gelben Stern von ihrer Kleidung entfernen durften. Dramatisch wurde die Situation allerdings, als im Oktober die fanatischen Pfeilkreuzler Horthy aus dem Amt putschten und den Sonderstatus der Schutzpässe für null und nichtig erklärten.
"Die Lage ist aufregend und abenteuerlich, meine Arbeitsüberlastung fast unmenschlich. Banditen lungern in der Stadt herum, prügeln, foltern und erschießen Leute", schrieb Wallenberg damals an seine Mutter. "Im Großen und Ganzen sind wir aber guter Laune und freuen uns des Kampfes."
Trotz Eichmanns Drohung machte Wallenberg weiter
Wallenberg jagte in seinem Studebaker hinter den Todesmärschen her, in denen Juden Richtung Österreich getrieben wurden, und holte einzelne Menschen aus den Kolonnen heraus. Mitarbeiter des Schweden versorgten Schutzpassbesitzer und andere Budapester Juden mit Lebensmitteln, intervenierten bei Übergriffen. Bei einem Abendessen drohte der NS-Verbrecher Adolf Eichmann Wallenberg offen, ihm werde ein Unglück geschehen, wenn er seine Rettungsversuche fortsetze. Wallenberg aber machte weiter.
In den Endtagen der Schlacht um Budapest gelang es Wallenbergs Verbündeten in den ungarischen Behörden gar, einen deutschen General dazu zu bewegen, dass dessen Soldaten das Ghetto vor einem geplanten Massaker durch die Pfeilkreuzler unter Schutz stellten. Auch diese Rettungsaktion wird häufig Wallenberg persönlich angerechnet. "Dafür, dass er aktiv an den Verhandlungen teilgenommen hat, haben wir keine Belege", sagt jedoch der Wallenberg-Biograf Christoph Gann.
Wallenberg war nicht der einzige ausländische Diplomat, der sich für die Rettung der ungarischen Juden engagierte. Auch der Schweizer Carl Lutz und der Apostolische Nuntius Angelo Rotta verteilten Schutzpapiere, ebenso der Italiener Giorgio Perlasca. Wallenberg allerdings war bereits während des Krieges der bekannteste von allen, weil er unermüdlich persönlich vor Ort erschien, wenn Übergriffe gemeldet wurden.
War Wallenberg ein Doppelagent?
Am 17. Januar 1945 - die Rote Armee hatte sich in der Budapester Innenstadt bis ans Donauufer vorgekämpft - ließ sich Wallenberg von seinem Chauffeur Vilmos Langfelder in das sowjetische Militärhauptquartier bringen. Seine Mitstreiter sahen den Diplomaten niemals wieder. Was genau mit Wallenberg geschah, ist bis heute unklar. Fest steht, dass der Schwede und sein Fahrer als vermeintliche Spione festgenommen und in Stalins berüchtigte Geheimpolizei-Zentrale am Moskauer Lubjanka-Platz gebracht wurden.
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Recherchen des Nachrichtenmagazins "Der Spiegel" aus den 90er Jahren kamen zu dem Ergebnis, dass Wallenberg wohl ein Doppelagent war, der auch in die Geheimverhandlungen über einen Separatfrieden zwischen Westallierten und Deutschland eingebunden gewesen sein könnte. Buchautor Gann hält diese Version jedoch nicht für stichhaltig: "Natürlich wurden Berichte von Raoul Wallenberg auch nach England und Amerika weitergeleitet, aber das macht ihn nicht zum Geheimdienstler."
Die Sowjets dementierten lange, etwas mit dem Verschwinden zu tun zu haben. Erst Jahre nach Stalins Tod teilte die kommunistische Führung mit, der Schwede sei 1947 in der Haft gestorben. Wahrscheinlicher ist wohl, dass Wallenberg und sein Fahrer hingerichtet wurden. Spätere Berichte, denen zufolge Wallenberg womöglich noch in den 60er Jahren in sowjetischen Straflagern oder psychiatrischen Kliniken gefangen gehalten wurde, konnten mehrere Untersuchungskommissionen weder bestätigen noch widerlegen.