Urteil: Sterbehilfe-Wunsch hätte geprüft werden müssen

Urteil: Sterbehilfe-Wunsch hätte geprüft werden müssen
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat Deutschland wegen seines Umgangs mit dem Thema Sterbehilfe verurteilt. Die Frage, ob Sterbehilfe erlaubt ist oder nicht, hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte den EU-Ländern aber weiter überlassen.

Die Straßburger Richter rügten am Donnerstag allerdings nur formale Fehler der deutschen Gerichte - an den restriktiven deutschen Vorschriften zur Sterbehilfe rüttelten sie nicht. Diese heikle Frage müssten die europäischen Länder selbst regeln, unterstrich das Menschenrechtsgericht.

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Kläger in dem Fall war ein Mann aus Braunschweig, Ulrich Koch, dessen Frau Bettina 2002 vor dem eigenen Haus schwer verunglückt war. Bei einem Sturz brach sie sich das Genick, war von da an querschnittgelähmt und auf künstliche Beatmung angewiesen. 2004 beantragte sie beim Bundesinstitut für Arzneimittel die Erlaubnis, eine tödliche Dosis Natrium-Pentobarbital zu kaufen. Das Institut verweigerte dies.

Das Paar sah keinen anderen Weg, als in die Schweiz zu reisen, wo sich Bettina Koch 2005 mit Hilfe des Vereins Dignitas das Leben nahm. Der Witwer klagte später vergeblich vor allen deutschen Instanzen einschließlich des Bundesverfassungsgerichts. Schließlich zog er vor das Menschenrechtsgericht: Er sah das Recht seiner Frau auf menschenwürdiges Sterben und sein eigenes Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens verletzt.

Der Fall könnte neu aufgerollt werden

Die Straßburger Richter wollten sich allerdings auf inhaltliche Fragen zur Legalität der Sterbehilfe nicht einlassen. Sie verwiesen darauf, dass über die Beihilfe zur Selbsttötung in den europäischen Staaten kein Konsens herrsche. Im Moment erlauben nur vier Länder es den Ärzten, ihren Patienten tödliche Arzneimittel zu verschreiben: die Schweiz, Belgien, die Niederlande und Luxemburg.

Es sei Aufgabe der deutschen Gerichte, Anliegen dieser Art in der Sache gründlich zu prüfen, unterstrich das Menschenrechtsgericht. Es verurteilte Deutschland allerdings dafür, dass genau dies nicht geschehen sei. Die Verfahrensrechte Kochs aus der Europäischen Menschenrechtskonvention seien nicht respektiert worden, stellten die Richter fest. Der deutsche Staat muss dem Mann rund 30.000 Euro Schmerzensgeld und Prozesskosten zahlen. Möglich ist, dass der Fall in Deutschland neu aufgerollt wird.

"Es gibt kein Recht auf Sterbehilfe"

Die deutsche Bundesärztekammer zeigte sich erfreut über das Straßburger Urteil. "Die Regelungen zur Sterbehilfe bleiben in Deutschland unangetastet", sagte Präsident Frank Ulrich Montgomery. Die Rechtslage in Deutschland sei der in den allermeisten europäischen Ländern vergleichbar, betonte er. Der EU-Parlamentarier Peter Liese (CDU) erklärte: "Es gibt kein Recht auf Sterbehilfe." Wichtig sei es, die Palliativmedizin und die Hospiz-Bewegung stärker zu unterstützen.

Der Berliner Palliativmediziner Michael de Ridder sagte im Deutschlandfunk: "Wir sind aufgerufen, über Sterbehilfe und Lebensende-Medizin genauer nachzudenken und eine bessere Regelung zu treffen." Die Rechtslage sei im Moment ausgesprochen verworren. De Ridder warf die Frage auf, warum die Kranke nicht auf dem Abbruch der Behandlung und palliativmedizinische Begleitung bestanden habe - denn für jede Behandlung sei die Zustimmung des Patienten nötig. Letztlich sei es aber zu akzeptieren, wenn ein unheilbar kranker Patient den Zeitpunkt seines Todes selbst festlegen wolle, sagte der Mediziner.