Der Arzt - dein Freund und Sterbehelfer?

26-jähriger "Sterbehelfer" zu drei Jahren Haft verurteilt

Foto: epd-bild/Werner Krüper

Wie weit darf ein Arzt gehen, wenn sein Patient lieber sterben als leben will?

Der Arzt - dein Freund und Sterbehelfer?
Die Koalition will kommerzielle Sterbehilfe verbieten. Wer aber beim Suizid hilft, ohne Geld zu nehmen, soll nicht bestraft werden. Das soll in Ausnahmefällen auch für Ärzte und Pflegekräfte gelten. Die Ärzteschaft protestiert.
01.08.2012
epd
Jasmin Maxwell

Das Reizthema Sterbehilfe soll gesetzlich geregelt werden. Doch der Gesetzentwurf erntet Kritik - von Gegnern und Befürwortern der Sterbehilfe. Die Koalition will die gewerbsmäßige "Förderung der Selbsttötung" unter Strafe stellen: Wer mit Suizidbeihilfe Geld verdient, müsste demnach mit bis zu drei Jahren Gefängnis oder einer Geldstrafe rechnen. Aktuell ist die Rechtslage unklar: Während die Selbsttötung und die Beihilfe dazu nicht verboten sind, steht die Tötung auf Verlangen unter Strafe. Doch die Abgrenzung ist oft schwierig. Gerichte haben in Einzelfällen unterschiedlich geurteilt.

Die jüngste Fassung des Referentenentwurfs aus dem Bundesjustizministerium sorgt für zusätzlichen Konfliktstoff. Denn danach sollen Ärzte und Pflegekräfte, die beim Suizid helfen, straffrei bleiben, wenn sie eine enge Beziehung zu dem Patienten haben. Sie würden in einem solchen Fall Angehörigen und nahestehenden Personen gleichgestellt. Die Ärzteschaft lehnt das strikt ab. Damit werde die Rechtsgrundlage für Ärzte als Sterbehelfer geschaffen, kritisiert der Präsident der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery. Kritik kommt auch aus der Union. Dem Missbrauch werde Tür und Tor geöffnet, sagt der gesundheitspolitische Sprecher der Bundestagsfraktion, Jens Spahn (CDU).

"Eine fortlaufende Einnahmequelle"

Der Referentenentwurf zum Verbot der gewerbsmäßigen Sterbehilfe, der dem epd vorliegt, soll demnächst im Kabinett verhandelt werden. Sterbehilfegegnern geht er nicht weit genug. Sie stört vor allem das Wort "gewerbsmäßig". Davon wären nur Personen und Organisationen erfasst, die sich durch Sterbehilfe "eine fortlaufende Einnahmequelle von einiger Dauer und einigem Umfang" verschaffen wollen. Diese Formulierung weckt bei Montgomery schlechte Erinnerungen. "Wir haben die Erfahrung gemacht, dass Sterbehelfer einfach auf eine Organisationsform ausweichen, die das Kriterium der Gewerbsmäßigkeit nicht erfüllt", sagte er dem epd.

Gemeint ist der Fall Roger Kusch. Der ehemalige Hamburger Justizsenator half 2008 mit seinem Verein "Dr. Roger Kusch Sterbehilfe" fünf Menschen beim Suizid und kassierte dafür jeweils 8.000 Euro. Nachdem ihm das vor Gericht verboten wurde, gründete Kusch 2010 den Verein "Sterbehilfe Deutschland", der Mitglieder bei der Selbsttötung begleitet - ohne Honorar. Sie zahlen aber pro Jahr 100 Euro Mitgliedsbeitrag. 2010 und 2011 hat der Verein nach eigenen Angaben 48 Menschen beim Suizid begleitet.

Eugen Brysch, Geschäftsführer der Patientenschutzorganisation Deutsche Hospiz Stiftung, befürchtet, dass das geplante Gesetz Vereinen wie "Sterbehilfe Deutschland" den Stempel der Rechtmäßigkeit aufdrückt, weil sie nicht kommerziell arbeiten. Der Entwurf sei nicht praxistauglich. Selbst Befürworter von Sterbehilfe argumentieren ähnlich: Der Verein "Dignitas" weist darauf hin, dass in Deutschland im Bereich der Sterbehilfe nur Vereine aktiv seien, die nicht gewerbsmäßig handelten.

Persönliche Beziehung zum Arzt?

Kritiker wie die evangelische Kirche und die Bundesärztekammer fordern, die "geschäftsmäßige" Sterbehilfe zu verbieten. Sie meinen damit organisierte und auf Wiederholung angelegte Suizidbeihilfe, egal ob Geld fließt oder nicht. Ärztepräsident Montgomery betont, verzweifelte Menschen müssten geschützt werden. "Wenn sie nicht in die Hände von jemandem fallen, der Sterbehilfe proklamiert, sondern Kontakt zu Palliativmedizinern oder Hospizen bekommen, verlieren sie fast immer den Todeswunsch."

Das Justizministerium lehnt ein weitergehendes Verbot aber ab. Die Abgrenzung zu zulässigen Formen der Sterbehilfe sei schwierig, heißt es - etwa wenn Ärzte in Einzelfällen Patienten beim Suizid helfen. Sie handeln dabei im Rahmen ihres Berufs, also strenggenommen geschäftsmäßig. Während die Bundesärztekammer ärztliche Suizidbeihilfe strikt ablehnt, erklärte das Berliner Verwaltungsgericht sie in Ausnahmefällen jüngst für zulässig.

Diese Rechtsprechung spiegelt sich nun offenbar auch in dem überarbeiteten Referentenentwurf wieder, der Ärzte und Pflegekräfte dann straffrei stellt, "wenn eine über das rein berufliche Verhältnis hinausgehende, länger andauernde persönliche Beziehung entstanden ist, wie dies z.B. beim langjährigen Hausarzt oder einer entsprechenden Pflegekraft der Fall sein kann." Der Streit über die Rolle der Ärzte könnte nun dazu führen, dass die ursprüngliche Absicht der Koalition, der kommerziellen Sterbehilfe einen Riegel vorzuschieben, in den Hintergrund rückt.

 

Sterbehilfe
Unterschieden wird zwischen passiver, indirekter und aktiver Sterbehilfe sowie Hilfe zur Selbsttötung.
Beihilfe zur Selbsttötung ist in Deutschland nicht strafbar. Die gewerbliche Vermittlung von Suizid-Hilfe soll nach Plänen der Regierungskoalition allerdings unter Strafe gestellt werden. Unter aktiver Sterbehilfe wird die Tötung auf Verlangen verstanden, sie ist in Deutschland verboten. Hat der Täter auf Wunsch des Betroffenen gehandelt, wird dies strafmildernd berücksichtigt. Als passive Sterbehilfe gelten der Verzicht auf oder das Reduzieren von lebensverlängernden Maßnahmen bei todkranken Patienten. Sie ist straffrei und kann sogar geboten sein, wenn der Patient sie vorher veranlasst hat. Von indirekter Sterbehilfe wird gesprochen, wenn die schmerzlindernde Medikation dazu führt, dass der Kranke schneller stirbt. Sie gilt als weitgehend zulässig.
Ein Sonderfall ist die Mitwirkung eines Arztes bei der Selbsttötung eines Patienten. Die Bundesärztekammer hat Ärzten jede Hilfe zum Suizid verboten. Das Berliner Verwaltungsgericht entschied aber in einem Urteil Ende März, dass ein solches Verbot nicht uneingeschränkt gelten kann - etwa wenn sich Arzt und Patient lange und gut kennen, der Patient unheilbar krank ist und der Arzt eine Schmerztherapie für nicht erfolgversprechend hält. Im jüngsten Gesetzentwurf spiegelt sich dieses Urteil wider. Dem Entwurf zufolge sollen Ärzte und Pflegekräfte straffrei bleiben, wenn sie eine enge Beziehung zu dem Patienten haben.