Filmkritik der Woche: "Cosmopolis"

Foto: epd-bild/Caitlin Cronenberg
In David Cronenbergs "Cosmopolis" ist "Twilight"-Star Robert Pattinson als Investment-Vampir in Manhattan unterwegs.
Filmkritik der Woche: "Cosmopolis"
Leben in der Limousine: Wie viel Geschwurbel verträgt ein Film über den Finanzkapitalismus? In "Cosmopolis" ist Robert Pattinson als Investment-Vampir in Manhattan unterwegs. Während Märkte zusammenbrechen und eine Revolte tobt, wird im Auto des Spekulanten dauerpalavert.
04.07.2012
epd
Andreas Busche

Der überraschendste Spezialeffekt in David Cronenbergs "Cosmopolis" ist der Hauptdarsteller selbst. Robert Pattinson spielt einen Vampir. Moment mal, hatten wir das nicht gerade? Blutleeres Gesicht, tote Augen, kalte Leidenschaft: Wie viel Allegorie verträgt ein Film über den Finanzkapitalismus? Pattinson, der Star aus der "Twilight"-Serie, rollt hier in einem kugelsicheren Sarg durch Manhattan zu einem Friseurtermin; um ihn herum verfällt die Welt in Chaos und auf den kollabierenden Märkte gibt es kein Vorankommen mehr. Während das Volk auf den Straßen der westlichen Zivilisation eine grandiose Abschiedsfeier schmeißt, wird der Metallsarg zur Bühne, auf der sich ein sonderbares Spektakel abspielt.

Eric Packer, 28 Jahre, Jungmilliardär, thront auf dem Rücksitz seiner Stretchlimousine und muss mit ansehen, wie sein Imperium in sich zusammenfällt. Ab und zu geht die Tür auf und jemand Neues schiebt sich in das Wageninnere: seine Programmierer, seine Kunsthändlerin, die sich zu einem Quickie überreden lässt, die "Cheftheoretikerin", sogar sein Proktologe. Sie reden, wie man Schauspieler noch nie hat reden hören: ohne Punkt und Komma und wie von Sinnen.

Aus ihren Mündern kommen Sätze, für deren Konstruktion Don DeLillo, der Autor der 2003 erschienenen, gleichnamigen Romanvorlage, viel Zeit aufgewendet haben muss. Oder er hat sie sich einfach per Mausklick mit einer Philosophiesuchmaschine im Internet zusammenstellen lassen. Irgendwann brummt einem der Schädel. Aber es gibt kein Entrinnen aus dem Inneren des Fahrzeugs, in das kein Geräusch von außen dringt, und das die herzlose Sprache der Mitfahrer einschließt, bis jeder sinnfällige Gedanke abgetötet ist.

Nach der Premiere des Films in Cannes hatte die Kritik sich schnell auf einen Schuldigen für Cronenbergs launige Finanzkollaps-Endzeit-Parabel geeinigt. Es war Pattinson mit seiner limitierten Begabung, dem immergleichen Gesichtsausdruck, seiner leicht wächsernen Hübschheit. So etwa soll die Geißel des modernen Finanzkapitals aussehen? Hätte er statt eines 2.000-Dollar-Anzugs einen Kapuzenpullover getragen (wie kürzlich Facebook-Gründer Mark Zuckerberg bei seiner Wall-Street-Stippvisite), wären uns vielleicht einige unnötige Missverständnisse erspart geblieben. Denn Pattinson macht seine Sache diesmal erstaunlich gut - so gut er kann.

Abgründe der Seele

Dazu gehört auch gar nicht viel. Packer ist ein reaktiver, passiv-aggressiver Charakter, der Situationen sorgfältig abwägt. Pattinsons ausdruckslose Mimik ist wie ein Blick in den Abgrund von Eric Packers Seele. An seinem Hauptdarsteller ist Cronenberg mit "Cosmopolis" sicher nicht gescheitert, sondern an DeLillos Text. DeLillos verschraubte Kunstsprache ist einfach nicht film­kompatibel. Der Regisseur findet keinen Zugang zu dieser irrwitzigen, geradezu überwältigenden Sprache. So wirkt es, als seien die Bilder nur um den Text herumgebastelt worden.

Verlässt Packer sein Gefährt, ist er der Welt schutzlos ausgeliefert. Dann muss er seine nicht minder soziopathische Frau um Sex anbetteln oder er wird mit Torten beworfen. Aus dem Innenraum heraus sieht die Realität dagegen wie im Kino aus. So erlebt Packer verschiedene Szenarien wie durch einen Schleier, der die Limousine zu umhüllen scheint: Der letzte Gang eines Rappers, der von seiner zahlreichen Fangemeinde zu Grabe getragen wird oder die Demonstration gewalttätiger Globalisierungsgegner, die das Ende schon lang haben kommen sehen. Als er schließlich beim Friseur ankommt, droht sein Leben endgültig aus den Fugen zu geraten.

Frankreich/Kanada/Portugal, Italien 2012. Regie: David Cronenberg. Buch: David Cronenberg, Don DeLillo. Mit: Robert Pattinson, Juliette Binoche, Sarah Gadon, Mathieu Amalric, Emily Hampshire, Samantha Morton. Länge: 108 Minuten. FSK: ab 12 Jahre.