2006 kochten die Emotionen hoch: Vor dem WM-Halbfinale gegen Italien riefen deutsche Boulevardzeitungen zum Pizza-Boykott auf, Italiener wurden im Internet als "Spaghettifresser" und "Muttersöhnchen" verhöhnt. Am Donnerstag treffen die deutschen Fußballer erneut auf die Italiener. Es geht um den Einzug in das Finale der Europameisterschaft.
Deutsche Zeitungen schreiben diesmal zwar vor allem respektvoll über den starken Gegner. Doch vielen Italienern in Deutschland ist die aufgeheizte Stimmung nach dem WM-Spiel 2006, bei dem Italien siegte, noch gut in Erinnerung. "Ich habe damals bemerkt, es war schwer für die Deutschen, die Niederlage herunterzuschlucken", berichtet Laura Rossi. Sie lebt seit 1996 in Deutschland und hat in ihrem Wohnort Mainz viele deutsche Freunde – Scherze über das Halbfinale hätten die damals gar nicht lustig gefunden, erinnert sie sich.
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"Es ist kein leichtes Spiel"
Spiele gegen Italien sind für die deutsche Mannschaft immer Zitterpartien. Noch nie hat Deutschland in einer WM oder EM gegen die italienischen Kicker gewonnen. Auch die Gesamtbilanz ist eindeutig: Seit 1923 trafen sich die beiden Mannschaften 30 Mal, nur sieben Spiele konnte Deutschland gewinnen, 14 Mal siegte Italien, neun Partien endeten unentschieden. Der letzte deutsche Sieg liegt schon 16 Jahre zurück.
Dennoch sind sich die Italiener vor dem EM-Halbfinale ihres Sieges alles andere als sicher. In italienischen Medien wird das Spiel als Kampf der schwächeren aber einfallsreichen Italiener gegen einen überlegenen Gegner dargestellt, der mit seiner politischen Übermacht Europa zu zerstören droht. "Es ist kein leichtes Spiel", sagt auch Laura Rossi, die in der italienischen katholischen Gemeinde in Mainz als Sekretärin arbeitet. "Aber wir haben in den letzten Spielen gesehen, dass unsere Fußballer kämpfen können."
Rossis Mann ist Deutscher, die beiden haben zwei Kinder. In ihrer Familie sind die Sympathien gerecht aufgeteilt: Vater und Tochter bleiben am Donnerstagabend zuhause und feuern Deutschland an, der Sohn geht mit seiner Mutter in die italienische Gemeinde zum Public Viewing. Schon das letzte Italien-Spiel gegen England schauten etwa 100 Gemeindemitglieder in Mainz zusammen an. Insgesamt gehören rund 6.000 Italiener in der rheinland-pfälzischen Landeshauptstadt und der Umgebung zu der Gemeinde.
Nicht überall in Italien ist die Stimmung entspannt
In der deutschen evangelischen Gemeinde in Rom wollen Deutsche und Italiener derweil gemeinsam Fußball schauen. Dem Spiel sehen sie gelassen entgegen. "Es war eine schöne Erfahrung, am Sonntag mit den Italienern über ihren Einzug ins Halbfinale zu jubeln und uns auf die Begegnung am Donnerstag zu freuen", sagt Johann Wiederanders, der freiwilligen Dienst in der Christuskirche leistet. Am Donnerstagabend treffen sich Deutsche und Italiener zu einem Grillfest. Ein Public Viewing mit Großleinwand ist zwar nicht geplant, Fußballfans können sich das Spiel aber im Gemeindesaal ansehen.
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Nicht überall in Italien ist die Stimmung so entspannt. Schuld ist die Euro-Krise. Die südeuropäischen Ländern fordern eine Vergemeinschaftung der Staatsschulden in der EU, die deutsche Regierung ist strikt dagegen. Das führte in der italienischen Öffentlichkeit gerade vor dem EM-Halbfinale zu antideutschen Ressentiments. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) wird in italienischen Medien verstärkt als Machtpolitikerin dargestellt, deren Land sich auf Kosten der wirtschaftlich und politisch schwächeren EU-Staaten bereichert. Für den Komiker Roberto Benigni ist sie gar eine "schreckliche Höllenstrafe".
Pizza-Boykott? "So was ist doch lächerlich!"
Bei der WM 2006 waren es deutsche Medien, die vor dem Spiel Stimmung gegen den Gegner machten. Für große Empörung sorgte eine Glosse des "Spiegel Online"-Kolumnisten Achim Achilles. Darin hatte er Italiener unter anderem als "parasitäre Lebensform" bezeichnet. Die Chefredaktion entschuldigte sich später und löschte den Text von der Website. Die Sperre des damaligen Nationalspielers Torsten Frings kurz vor dem Halbfinale nahmen Boulevardzeitungen außerdem zum Anlass, zu einem Boykott von italienischen Restaurants aufzurufen.
Fast harmlos mutet es im Vergleich dazu an, dass die Bild-Zeitung den italienischen Kicker Andrea Pirlo nach seinem Elfmetertor gegen England im Viertelfinale als "Italo-Killer" bezeichnet. Von einem Pizza-Boykott ist keine Rede. Auch Wilhelm Lindenberg von der katholischen Gemeinde St. Markus in Frankfurt am Main will davon nichts wissen. "So was ist doch lächerlich", sagt der stellvertretende Vorsitzende des Verwaltungsrats der Gemeinde. Die Katholiken teilen sich ihre Räume mit einer italienischen Gemeinde. Am Donnerstag schauen Italiener und Deutsche zusammen im Gemeindesaal Fußball – dazu gibt es selbstgebackene Pizza.
Auch Gabriella Cecchini, die als Buchhalterin in der Italienischen Mission in München arbeitet, freut sich darauf, das Spiel mit Landsleuten anzusehen. Sie lebt seit mehr als 20 Jahren in Deutschland, ihre Kinder sind hier aufgewachsen. Aber: "Wenn Italien gegen Deutschland spielt, dann werden die Kinder zu Italienern." Am Freitag geht Cecchini in den Ruhestand. "Wenn Italien gewinnt, feiere ich doppelt", sagt sie. Wenn sie verlieren, sei das auch nicht so schlimm, sagt sie. Dann feuert sie im Finale einfach die Deutschen an.