Das "Wort zum Sonntag" zum ESC wird Kritik nicht ausblenden

dpa/Sergei Ilnitsky
Das irische Duo "Jedward" bei einer Probe zum ESC in Baku.
Das "Wort zum Sonntag" zum ESC wird Kritik nicht ausblenden
In wenigen Tagen richten sich die Augen von Millionen nach Aserbaidschan, wenn am Samstag in Baku das Finale des Eurovision Song Contests (ESC) ausgetragen wird. Doch der schöne Schein des musikalischen Wettbewerbs überdeckt nicht die Kritik an dem Land. Menschenrechte und Pressefreiheit werden von der autoritären Führung immer wieder verletzt. Deshalb kritisieren Reporter ohne Grenzen und die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte Aserbaidschans Regierung. Und je näher das Finale rückt, um so mehr Organisationen und Menschen fordern von dem Regime in Baku, die Verfolgung kritischer Journalisten zu beenden und Presse- und Meinungsfreiheit zuzulassen. Unter anderem auch Pastorin Nora Steen, die das "Wort zum Sonntag" vor dem ESC sprechen wird.

Am Sonnabend wird in Aserbaidschan der Sieger des European Song Contests gekürt. Doch hinter den Kulissen des Gesang-Wettbewerbs verbergen sich Menschenrechtsverletzungen, Meinungs- und Pressefreiheit gibt es in dem Land nicht. Freie Medienschaffende leiden unter Repressalien und Gewalt. In den vergangenen Monaten mahnten Kritiker die Zustände in dem Land immer wieder an und übten offen Kritik an dem Regime in Baku. Auch kurz vor dem Ende des ESC werden diese Stimmen nicht leiser. So will nun auch die Hildesheimer Pastorin Nora Steen die Kritik der Menschenrechtler in ihrem "geistlichen Grußwort" kurz vor dem Finale aufnehmen. "Das Wort zum Sonntag" wird seit mehr als zehn Jahren direkt vor der Siegerrunde des ESC aus dem Austragungsort ausgestrahlt.  

Die Kritik darf nicht ausgeblendet werden

"Ich finde, dass das auf keinen Fall ausgeblendet werden darf", betont Steen. Man sei in einem Land zu Gast, wo für eine Zeit lang nur für die ausländischen Journalisten wirklich absolute Pressefreiheit gelte, aber für die einheimischen nicht, sagte die 35-Jährige. Das sollte deutlich in den Fokus gerückt werden, genau das wünschten sich auch die Menschenrechtler dort. "Das Wort zum Sonntag" sei eine Chance, dieses Thema direkt vor der Show, bei der die Teilnehmer nichts Politisches sagen dürften, anzusprechen - "und dennoch jetzt nicht allen die Laune zu verderben", fügt Steen hinzu.

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Der deutsche Kandidat Roman Lob hofft, dass durch den ESC in Aserbaidschan etwas verändert wird. "Ich denke, jeder Künstler aus jedem Land weiß, dass mit den Menschenrechten dort nicht alles in Ordnung ist.  Ich sehe das aber so, dass wir da was schaffen können, das Land dazu bringen zu können, da stimmt was nicht, das Land wird dadurch in den Vordergrund geschoben", sagte der Sänger im Vorfeld des ESC. Möglichweise würde dadurch Aserbaidschan erkennen, dass es etwas ändern müsse. Anders nimmt die Situation seine aserbaidschanische Konkurrentin Sabina Babyeva wahr. "Ich finde beim ESC geht es um Freude, Musik und die Erfahrung. Es ist völlig unwichtig wo er stattfindet." Und sie zeigt Unverständnis über die Kritik an Aserbaidschan und der Regierung.

Angst gehört zum Journalisten-Alltag

Nur eine handvoll Journalisten und Blogger stellen sich gegen das Regime. Laut Reporter ohne Grenzen (ROG) werden die Medienschaffenden eingeschüchtert, verfolgt und überfallen. Allerdings sprach sich die Journalisten-Organisation gegen ein Boykott des ESC in Aserbaidschan aus. Denn durch den Wettbewerb gebe es eine Chance, die Aufmerksamkeit auf das Land zu lenken. In den vergangenen Monaten ist das Regime Aserbaidschans tatsächlich immer mehr ins Blickfeld der Medien gerückt, auch in Deutschland.

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Doch dies wird keine langfristigen Auswirkungen auf die Pressefreiheit in Aserbaidschan haben, meint Michael Klehm vom Deutschen Journalisten-Verband (DJV) im Interview mit der Deutschen Welle: "Vielleicht werden die Medien kurzzeitig freier berichten können. Aber sobald der internationale Reporter-Tross weg ist, wird Aserbaidschan wieder in die alten Mechanismen zurückfallen." Mit allen Mitteln versucht das dortige Regime jegliche Formen von Meinungs- und Pressefreiheit zu unterdrücken. Das wirkt sich aus: Aus Angst herrscht in dem Land unter den Medienschaffenden eine "Kultur der Selbstzensur", wie Emin Huseynov, Direktor des Instituts für die Freiheit und Sicherheit von Reportern (IFRS) dem Tagesspiegel berichtete.

Übergriffe sind laut Präsidentenberater Einzelfälle

Präsidentenberater Ali Hasanov betonte hingegen, die Presse in Aserbaidschan sei frei. "Niemand blockiert den Zugang, die Verarbeitung und die Verbreitung von Informationen." Er bestätigt, dass Journalisten verhaftet, geschlagen und auch getötet würden. "Aber das ist keine massive Tendenz, sondern es sind Einzelfälle. Gibt es Länder, in denen das nicht passiert?" Nicht umsonst zählt ROG den aserbaidschanischen Präsidenten Alijew zu den Feinden der Pressefreiheit und setzt Aserbaidschan in der aktuellen Rangliste auf Platz 162 von 179.  Auch Human Rights Watch (HRW) mahnt die derzeitigen Verhältnisse in dem Land an. Laut der Organisation gibt es derzeit 70 politische Häftlinge, sechs von ihnen sind Journalisten. Unabhängige und oppositionelle Journalisten würden "regelmäßig schikaniert", so HRW. 

Passend zum ESC hat die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) einen Radiospot veröffentlicht. Mit diesem will die Organisation auf die Zustände in Aserbaidschan aufmerksam machen. Denn nach Meinung der Organisation sonne sich der derzeitige Präsident Alijew im Glanz des ESC. "Aber was bleibt, wenn die Musik Baku wieder verlässt?" Der 38-sekündige Radiospot soll "die ESC-Fans wie ein trojanisches Pferd" überrumpeln. Denn er bringe die Hörer zunächst mit einem Gute-Laune-Song in Stimmung, um sie wenige Sekunden später mit dem zu konfrontieren, wie die Machthaber abseits der Glamour-Welt mit ihren Kritikern umgehen. Auch wenn zurzeit so mancher Blick in Richtung Baku geht, ist fraglich, ob Kritiker und Berichterstattung an den Verhältnissen ohne eindeutigen politischen Rückhalt etwas ändern können.