Chile: Regierung geht von mehr Diktatur-Opfern aus als bisher bekannt

Chile: Regierung geht von mehr Diktatur-Opfern aus als bisher bekannt
02.08.2025
epd
epd-Gespräch: Malte Seiwerth

Santiago (epd). Die Zahl der Todesopfer der chilenischen Militärdiktatur liegt laut der Staatssekretärin Daniela Quintanilla höher als die bisherigen offiziellen Angaben. „Wir wissen, dass es Opfer gibt, die nie als solche registriert wurden“, sagte sie dem Evangelischen Pressedienst (epd) in der Hauptstadt Santiago. Die Angehörigen hätten zum Zeitpunkt der Erfassung von Ermordeten und Verschwundenen durch staatliche Kommissionen nicht das nötige Vertrauen in die Behörden gehabt, Verfolgung befürchtet oder sich aus finanziellen Gründen nicht melden können.

Während der Diktatur (1973-1990) verhaftete, folterte und ermordete das Militär laut offiziellen Zahlen über 40.000 Menschen, vergrub Leichen oder warf sie ins Meer. Zu den erwiesenermaßen Ermordeten und bis heute spurlos Verschwundenen gibt es zwei Listen verschiedener Kommissionen. Die eine zählt 2.123 Personen auf, deren Leichen gefunden wurden. Auf einer weiteren Liste stehen die Namen von 1.469 Menschen, deren Festnahme zwar bewiesen ist, deren Überreste jedoch verschollen bleiben.

Die aktuelle Regierung wolle die Leichen dieser Menschen finden, bisher nirgendwo registrierte Opfer identifizieren und weitere Informationen zu Tätern sammeln, sagte Quintanilla. Dafür wurde 2023 ein nationaler Suchplan erstellt. „Dies gibt den Angehörigen Hoffnung und zeigt, dass der Staat die Suche so lange fortsetzen wird, wie es nötig ist.“ Erste Ergebnisse des Suchplans seien eine neu erstellte Karte mit den letzten bekannten Aufenthaltsorten vermisster Personen in Gefängnissen und Folterzentren. Zudem gebe es neue Ausgrabungen, sagte Quintanilla. Neue Methoden, etwa aus dem Bereich des Bergbaus, erleichterten es zudem, Massengräber und Überreste zu finden.

„Das Militär zielte darauf ab, die Bevölkerung an sich einzuschüchtern“, erläutert Staatssekretärin Quintanilla. „Das zeigt sich auch daran, dass etwa die Hälfte der bislang registrierten ermordeten Personen keine Mitgliedschaft in einer Partei oder anderweitigen politischen Organisation hatte.“

Mit den neuen Erkenntnissen könnten weitere Gerichtsverfahren angestoßen oder alte Prozesse neu aufgerollt werden, sagte Quintanilla. Sie könnten aber auch der Aufklärung dienen. „Heutzutage, wo angesichts neuer Herausforderungen autoritäre Regime wieder an Attraktivität gewinnen, ist es besonders wichtig, sich zu erinnern, was geopfert wird, wenn man das demokratische Miteinander zerstört.“ Der gesellschaftliche Konsens, dass soziale Krisen auf demokratischem Weg gelöst werden, müsse gestärkt und an neue Generationen weitergegeben werden.