Steht ACTA vor dem Aus?

dpa/Florian Schuh
Die Proteste gegen ACTA haben die Politiker, die über das Gesetz zu entscheiden haben, zum Nachdenken bewegt. Die Zukunft von ACTA ist noch unklar.
Steht ACTA vor dem Aus?
Die Chancen für das Anti-Piraterieabkommen ACTA schwinden. Die aktuellen Stimmenverhältnisse im EU-Parlament lassen eine Ablehnung erwarten. Die EU-Kommission ihrerseits will aber noch auf eine Stellungnahme des Europäischen Gerichtshofs warten.

Die Chancen für eine Verabschiedung des multinationalen Anti-Piraterie-Abkommens ACTA (Anti-Counterfeiting Trade Agreement) werden immer schlechter: Erst vor wenigen Tagen lehnte der Bundesrat der Schweiz eine Unterzeichnung ab. Er will erst noch alle Kritikpunkte klären, die durch die öffentliche Diskussion aufgekommen sind.

###autor###

Das Abkommen wendet sich gegen Produktpiraterie, aber auch um die Durchsetzung von Monopolrechten etwa im Bereich generischer Medikamente. Dabei stärkt ACTA die Möglichkeiten für Rechteinhaber, ihre Rechte privatisiert durchzusetzen. Allerdings sollen bei Urheberrechtsverletzungen auch privatrechtliche in strafrechtliche Verfahren umgewandelt werden können. Außerdem fordert es eine freiwillige Zusammenarbeit zwischen Internet-Zugangsanbietern und Rechteinhabern, wie sie jetzt vom Bundeswirtschaftsministerium vorbereitet wird.

Die Zukunft von ACTA liegt nicht in Europa

Kritiker bemängeln, dass innerhalb der Unterzeichnerstaaten keine wesentlichen rechtlichen Veränderungen zu erwarten seien, dass jedoch schwammige Formulierungen negative Folgen für die Meinungsfreiheit im Internet haben könnten.Unternehmensverbände in Deutschland begrüßen ACTA zwar grundsätzlich, erwarten sich jedoch hinsichtlich der Produktpiraterie auch keine wesentlichen Verbesserungen. Die Unterzeichnerstaaten befinden sich nämlich längst auf dem Schutzniveau, das durch das Abkommen erreicht werden soll. Mario Rehse vom IT-Branchenverband Bitkom meint: "Für Europa sehen wir keinen Vorteil, weil der bestehende Regelungsrahmen bereits über ACTA hinausgeht."

ACTA ist insofern für die Zukunft gestrickt: Wirkung wird es erst entfalten können, wenn Staaten mit niedrigerem Schutzniveau wie etwa China, Indien oder Russland dem multinationalen Abkommen beitreten würden. Das Europäische Parlament wird sich daher in seiner Entscheidung auch danach orientieren, wie wahrscheinlich dies ist. Aus der vor kurzem veröffentlichten deutschen Zollstatistik 2011 geht jedenfalls hervor, dass China das Herkunftsland Nummer 1 für aufgegriffene Sendungen ist. Dabei wurden im vergangenen Jahr fast doppelt so viele Sendungen beschlagnahmt wie in den beiden Vorjahren. An zweiter Stelle steht Hong Kong, an dritter Stelle findet sich ACTA-Unterzeichnerstaat USA. Das Gros des beschlagnahmten Warenwerts bezieht sich vor allem auf Kleidung und Schuhe, an zweiter Stelle folgen Elektrogeräte und Handys.

Die EU-Kommission setzt auf den Europäischen Gerichtshof

Bereits im März lehnte der zuständige Ausschuss im Europäischen Ausschuss den Vertragsentwurf mit großer Mehrheit ab. Im Juli soll das Parlament über ACTA abstimmen, ein Stimmungsumschwung ist derzeit nicht zu erwarten. Der Berichterstatter des Parlaments, David Martin, hatte zwar Nachverhandlungen gefordert, doch die sind nicht möglich: Das Parlament kann den Abkommenstext nur in Gänze ablehnen oder annehmen. Für Neuverhandlungen müsste der gesamte Prozess noch einmal von vorne aufgerollt werden. Der jetzige Entwurf wäre damit unmittelbar gescheitert.

Die EU-Kommission legte allerdings vergangene Woche das Abkommen dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) vor, der prüfen soll, ob es mit den EU-Grundrechten zu vereinbaren ist. Die Kommission hofft, dass eine Überprüfung zeigen könnte, dass das Abkommen nicht wie befürchtet zu mehr Überwachung und Zensur führt. Außerdem setzt sie darauf, dass das Europäische Parlament die Abstimmung so lange verschieben wird, bis das Urteil vorliegt. Das kann erst in 12 bis 18 Monaten der Fall sein. Falls der EuGH das Abkommen für rechtswidrig erklärt, müsste das Abkommen geändert werden.

Proteste waren ein Weckruf

Die EU-Kommission hat den Vertrag zwar bereits unterzeichnet, doch die für die Digitale Agenda zuständige EU-Kommissarin Neelie Kroes glaubt nicht mehr, dass das Abkommen in der jetzigen Form kommen wird. Die europaweiten Proteste seien, so Kroes für Brüssel ein Weckruf für eine Reform des gegenwärtigen Urheberrechtsregimes gewesen. Anfang Mai skizzierte Kroes auf der Berliner Netztagung re:publica bereits eine Zukunft ohne ACTA: Dabei konzentrierte sich allein auf die Internetaspekte des Abkommens. So kritisierte sie die zurzeit praktizierte Umverteilung von Kopiererlösen durch Verwertungsgesellschaften, die den Künstlern im Schnitt nicht viel einbrächten. Alternative Vergütungsverfahren wie Flatrate-Angebote durch Streaming-Portale seien interessanter.

Auch wenn ACTA vor dem Aus steht, bleibt das Urheberrecht auf der Agenda der Europäischen Kommission. Im Herbst soll die Richtlinie zur Durchsetzung der Rechte an immateriellen Gütern (IPRED) überarbeitet werden. Der grüne Bundestagsabgeordnete Konstantin Notz sieht darin den „nächsten Versuch, die Urheberrechtsdurchsetzung weiter zu verschärfen“. So könnten Formulierungen hier Eingang finden, die bei ACTA nicht durchgesetzt werden konnten. Andererseits sieht auch er die Notwendigkeit, das teilweise überholte Urheberrechtssystem zu reformieren. So könnte IPRED auch in die Richtung überarbeitet werden, wie sie Neelie Kroes bereits skizziert hat. Doch da die deutsche Bundesregierung derzeit keine Änderungen für notwendig befindet, ist es ungewiss, in welche Richtung eszumindest aus Sicht von Deutschland nun weitergehen soll.