Urteil: Jobcenter dürfen Mitwirkungspflichten nicht überspannen

Urteil: Jobcenter dürfen Mitwirkungspflichten nicht überspannen

Kassel (epd). Jobcenter dürfen nach Verletzung der Mitwirkungspflicht eines Langzeitarbeitslosen nicht auch dessen getrennt lebende Ehefrau dafür büßen lassen. Trennt sich ein in einer Bedarfsgemeinschaft lebendes Ehepaar und legt der selbstständig tätige Ehemann die vom Jobcenter geforderten Belege über Ein- und Ausgaben nicht vorr, darf der Ehefrau und dem zweijährigen Sohn die Hilfeleistung nicht komplett gekürzt werden, urteilte am Mittwoch das Bundessozialgericht (BSG). (AZ: B 7 AS 24/22 R) Denn kann Ehefrau tatsächlich nicht an der Beschaffung der nötigen Nachweise mitwirken, dürfe ihr kein Verstoß gegen Mitwirkungspflichten zur Last gelegt werden, so die Kasseler Richter. Von der Begründung her dürfte das Urteil auch auf das heutige Bürgergeld übertragbar sein.

Die aus dem Altmarkkreis Salzwedel stammende Klägerin und ihr 2016 geborener Sohn bildeten zusammen mit ihrem Ehemann eine Bedarfsgemeinschaft. Sie waren auf Arbeitslosengeld II angewiesen. Der Ehemann verfügte über selbstständige, schwankende Einkünfte aus einem Autowerkstatt. Das Jobcenter bewilligte daher für den Streitzeitraum von November 2018 bis April 2019 Hilfeleistungen nur vorläufig. Im Mai 2019 trennte sich das Paar.

Als der Ehemann dem Jobcenter Einkünfte in Höhe von durchschnittlich 173,33 Euro monatlich mitteilte, verlangte die Behörde Belege wie Quittungen oder ein Kassenbuch. Als der Mann das verweigerte, setzte das Jobcenter das Arbeitslosengeld II wegen fehlender Mitwirkung auf „Null“ fest - und zwar auch für die Kläger, die getrennt lebende Ehefrau und den Sohn. Sie sollten rund 4.300 Euro an erhaltenen Hartz-IV-Leistungen zurückzahlen.

Denn in dieser Zeit habe die Bedarfsgemeinschaft noch bestanden, so die Behörde. Weil der Ehemann seine Mitwirkungspflichten verletzt habe, führe das auch zu Rechtsfolgen für die Ehefrau. Dass die Eheleute sich später getrennt hatten, ändere daran nichts, hieß es.

Dem widersprach nun das BSG. Beim Arbeitslosengeld II, dem heutigen Bürgergeld, handele es sich um individuelle Leistungen, bei denen die Betroffenen individuelle Mitwirkungspflichten hätten. Hier habe die Bedarfsgemeinschaft wegen der Trennung der Eheleute nicht mehr bestanden. Die Klägerin und der Sohn könnten nichts dafür, dass der Ehemann seine Mitwirkungspflicht verletzt habe. Sie hätten die Informationen auch nicht beschaffen können. Eine Verletzung ihrer Mitwirkungspflicht liege daher nicht vor, befand das Gericht.

Das Jobcenter sei verpflichtet, für den Streitzeitraum Arbeitslosengeld II zu gewähren - und zwar unter Anrechnung von Einkünften des Ehemannes in Höhe der angegebenen 173,33 Euro. Das Kind habe Anspruch auf Sozialgeld.