Kanzler Scholz nennt Flüchtlingszahlen "zu hoch"

Kanzler Scholz nennt Flüchtlingszahlen "zu hoch"
Bundeskanzler Scholz (SPD) hält die Zahl der Flüchtlinge für zu hoch. Digitalminister Wissing (FDP) will Asylbewerber mit Prepaidkarten ausstatten und Bargeldzahlungen einstellen. Letztere seien "ein Anreiz zur Einreise in die Sozialsysteme".

Berlin (epd). Angesichts steigender Flüchtlingszahlen sucht die Politik nach Handlungsmöglichkeiten. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) will die zunehmende Migration nach Deutschland begrenzen. „Die Zahl der Flüchtlinge, die nach Deutschland streben, ist im Moment zu hoch“, sagte Scholz dem „RedaktionsNetzwerk Deutschland“ (Samstag).

„Es kann ja nicht bleiben wie bisher: Mehr als 70 Prozent aller Flüchtlinge, die in Deutschland ankommen, sind vorher nicht registriert worden, obwohl sie nahezu alle in einem anderen EU-Land gewesen sind“, sagte der Bundeskanzler. Mit den Bundesländern wolle er bei der für November geplanten Ministerpräsidentenkonferenz zu Migration und Finanzierung der Flüchtlingskosten „ein dauerhaftes System für die Kommunen“ entwickeln.

Bundesdigitalminister Volker Wissing (FDP) will Asylbewerber künftig mit Prepaid-Digitalkarten ausstatten und im Gegenzug die Geldzahlungen einstellen. „Statt beispielsweise Geld für das Bus- und Bahnticket oder die Handy-Prepaid-Karte direkt zu überweisen, sollten wir dazu übergehen, den Asylbewerbern das Gut physisch zur Verfügung zu stellen“, sagte Wissing der „Bild“-Zeitung (Samstag). „Mit einer bundesweit gültigen Bezahlkarte könnten Asylbewerber ihren täglichen Lebensbedarf im Einzelhandel decken, aber keine Rücküberweisungen in Herkunftsländer vornehmen.“ Direkte Geldzahlungen seien „ein Anreiz zur Einreise in die Sozialsysteme“, sagte Wissing.

Der frühere Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) sprach sich dafür aus, die Sozialleistungen für Asylbewerber abzusenken. „Wir müssen einsehen, dass wir uns diese Asylpolitik nicht mehr leisten können“, sagte Schäuble in einem Interview mit „Zeit Online“ (Sonntag). „Wenn wir ein höheres Sozialleistungsniveau anbieten, brauchen wir uns nicht zu wundern, dass die Menschen versuchen, möglichst nach Deutschland zu kommen. Also brauchen wir ein einheitliches, europäisches Niveau“, sagte der ehemalige Bundesinnen- und Bundesfinanzminister.

Zuvor hatte der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz in einer Fernsehdebatte gesagt, man müsse „endlich mal“ über Pull-Faktoren in der Migration sprechen. Merz hatte behauptet, das deutsche Sozial- und Gesundheitssystem sei ein wesentlicher Grund für Asylbewerber, nach Deutschland zu kommen. „Die sitzen beim Arzt und lassen sich die Zähne neu machen, und die deutschen Bürger nebendran kriegen keine Termine“, sagte er.

Bundesentwicklungsministerin Schulze (SPD) widersprach der Aussage von Merz, die deutschen Sozialleistungen für Asylbewerber seien Pull-Faktoren. „Ich hätte dafür gerne nur einen einzigen Beleg. Der überwiegende Teil der Flüchtlinge kommt aus Kriegsgebieten!“, sagte Schulze der „Bild am Sonntag“.

Auch Forderungen nach einer Umwandlung von Geld- in Sachleistungen für Flüchtlinge sieht Schulze skeptisch. Es sei schon heute möglich, Flüchtlingen mit Sach- statt Geldleistungen zu versorgen, sagte sie. Jedes Bundesland könne das entscheiden. Sachleistungen seien ein höherer bürokratischer Aufwand. „Deshalb wird es so gut wie nicht gemacht“, sagte die Ministerin.

Sogenannte Pull-Faktoren spielen auch laut Lukas Fuchs vom Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM) in Berlin kaum eine Rolle in der Flucht- und Armutsmigration. Solche Modelle taugten nicht, um die Komplexität von Migrationsbewegungen zu verstehen, sagte der Migrationsforscher dem Evangelischen Pressedienst (epd). Die Wissenschaft wisse mittlerweile, dass Migrationsbestrebungen sich vornehmlich in Herkunftsländern formierten. Dabei spielten Sicherheit, politisches Klima und wirtschaftliche Perspektiven sowie zunehmend der Einfluss der Erderwärmung eine Rolle. „Also Push-Faktoren, wenn man so will“, sagte Fuchs.