Debatte im Fall Aiwanger hält an

Debatte im Fall Aiwanger hält an
Historiker sieht "Tiefpunkt der Erinnerungskultur"
Nach der Flugblatt-Affäre um Hubert Aiwanger hält die scharfe Kritik am politischen Umgang damit an. Kritiker sehen die Erinnerungskultur zur NS-Zeit bedroht.

Frankfurt a.M. (epd). Die stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende Karin Prien sieht in der Flugblatt-Affäre um den bayerischen Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger eine „Zäsur für die Erinnerungskultur“ in Deutschland. „Erinnerungspolitisch erleben wir in Deutschland im Moment dunkle Tage“, sagte die schleswig-holsteinische Bildungsministerin der Hamburger Wochenzeitung „Die Zeit“. Prien ist auch Sprecherin des Jüdischen Forums der CDU. Der Hamburger Historiker Jürgen Zimmerer sprach von einem „Tiefpunkt in der Geschichte der deutschen Erinnerungskultur“.

Prien wirft Aiwanger vor, sich als Opfer einer Kampagne zu stilisieren: „Die Täter-Opfer-Umkehr, die er jetzt betreibt, wenn er von einer Schmutzkampagne spricht, ist wirklich verwerflich“. Sie kritisierte Aiwangers Verhalten, nachdem der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) erklärt hatte, ihn im Amt zu belassen.

Aiwanger steht wegen eines antisemitischen Flugblatts in der Kritik, das in seiner Schulzeit in seiner Tasche gefunden wurde. Nach Bekanntwerden der Vorwürfe erklärte Aiwangers Bruder Helmut, er habe das Flugblatt geschrieben. Weitere Vorwürfe wie das Zeigen des Hitlergrußes in der Schulzeit weist Aiwanger zurück. Söder hatte am Sonntag verkündet, Aiwanger nicht aus dem Amt zu entlassen, weil das angesichts der Beweislage nicht verhältnismäßig sei.

Der jüdisch-deutsche Historiker Michael Wolffsohn bezeichnete es in dem Doppelinterview mit Prien als richtig, Aiwanger im Amt zu belassen: „Eine Entlassung hätte aus ihm einen Märtyrer der rechten Seite gemacht.“ Aiwanger habe das Flugblatt, nach Lage der Dinge, nicht verfasst und sich vom Antisemitismus distanziert, ja sogar entschuldigt, fügte Wolffsohn hinzu. Zudem habe er als Erwachsener keine nachweislich antisemitischen Aktionen mehr vorgenommen.

Der Hamburger Historiker Jürgen Zimmerer sieht im Fall Aiwanger einen „Tiefpunkt in der Geschichte der deutschen Erinnerungskultur“. „Im Rückblick wird die Affäre Aiwanger-Söder als ein Wendepunkt in der Erinnerungskultur angesehen werden“, sagte der Professor der Universität Hamburg dem Evangelischen Pressedienst (epd). In der Debatte zeige sich die Sehnsucht vieler Deutscher nach einem Schlussstrich.

„Durch Aiwanger ist dieser Schlussstrich unter der Geschichte salonfähig geworden und wird sogar in Bierzelten gefeiert“, sagte Zimmerer. Dies sei eine „Katastrophe für die Erinnerungskultur“, auch weil dadurch Menschen verhöhnt würden, die sich für die Erinnerung an NS-Verbrechen engagieren.

Wolffsohn sagte auf die Frage, wie die Gesellschaft mit den Jugendsünden von Politikern umgehen sollte: „Weniger heuchlerisch! Es stärkt den rechten Rand, wenn wir das Recht auf Umkehr einem Joschka Fischer zugestehen, der als junger Mann gewalttätig gegenüber Polizisten war, aber nicht Aiwanger.“ Es sei zu befürchten, dass die AfD durch diese Debatte noch stärker wird.

Das Bündnis „Offen bleiben!“ ruft für Donnerstagmittag zu einer Mahnwache im Fall Aiwanger am Münchner Maxmonument auf. Man wolle parallel zur Tagung des Zwischenausschusses im Bayerischen Landtag deutlich machen, dass die Flugblatt-Affäre um den Freie-Wähler-Chef noch nicht beendet sei, teilte das Bündnis am Mittwoch mit. Dem Bündnis „Offen bleiben!“ gehören rund 200 Organisationen der Zivilgesellschaft an, darunter die Diakonie und die Caritas.

Am Donnerstag um 12 Uhr beruft Landtagspräsidentin Ilse Aigner (CSU) auf Antrag der Fraktionen von Grünen, SPD und FDP den Zwischenausschuss des Bayerischen Landtags ein. Das Gremium befasst sich mit den „Vorwürfen und offenen Fragen“ der Affäre.