Castellucci: Staat soll Regeln für Missbrauchsaufarbeitung vorgeben

Castellucci: Staat soll Regeln für Missbrauchsaufarbeitung vorgeben
Auf dem Kirchentag wurde am Samstag auch über die Aufarbeitung von Missbrauchsfällen gesprochen. Beim Thementag forderte der SPD-Politiker Castellucci staatliche Regeln für die Aufarbeitung - und rannte damit offene Türen ein.

Nürnberg (epd). Der kirchenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Lars Castellucci, hat einen genauen Blick auf Missbrauchsfälle und deren Aufarbeitung gefordert. „Wir brauchen keine Kultur des Hindeutens, sondern eine Kultur des Hinsehens“, sagte er am Samstag auf dem 38. Deutschen Evangelischen Kirchentag in Nürnberg.

Castellucci sagte, Missbrauch sei nicht nur im Raum der Kirche geschehen. Man müsse klar sagen, dass die meisten Taten im familiären Umfeld stattgefunden hätten. Der SPD-Politiker forderte, die Selbstorganisation von Betroffenen sexualisierter Gewalt müsse unterstützt werden. Er schlug eine Stiftung für Opfer sexualisierter Gewalt auf Bundesebene vor, die sich für die Interessen der Betroffenen einsetzt. Der Staat müsse den Rahmen für die Kriterien der Aufarbeitung in Institutionen setzen.

Die pfälzische Kirchenpräsidentin Dorothee Wüst begrüßte staatliche Vorgaben für die Aufarbeitung in den Kirchen. Wüst, Sprecherin der Beauftragten im Beteiligungsforum der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), sagte, mit der Forderung renne Castellucci bei ihr „offene Türen“ ein. Für die Arbeit des Beteiligungsforums, das in der evangelischen Kirche die Aufarbeitung und Prävention von Missbrauch organisiert, wäre dies eine Erleichterung.

Der Professor für Soziale Arbeit, Martin Wazlawik, wies Worte des Kirchentagspräsidenten Thomas de Maizière zurück, der der Wochenzeitung „Zeit“ gesagt hatte, vermutlich habe der sexuelle Missbrauch in der evangelischen Kirche nicht das Ausmaß wie in der katholischen Kirche.

Wazlawik, der an der Hochschule Hannover lehrt, leitet die Missbrauchsstudie der EKD, deren Ergebnisse für Herbst erwartet werden. „Wir wissen das schlicht nicht“, sagte Wazlawik. Es gebe keine repräsentativen Studien. Die Zahlen seien nicht abstrakt, sondern hinter jeder Zahl verberge sich eine Biografie. Es sei daher wichtig, auf die spezifischen Risikofaktoren für Missbrauch in der evangelischen Kirche zu schauen.

Nach Zahlen von vergangenem November lagen der EKD rund 750 Anträge auf Anerkennungsleistungen vor. Das spiegelt den Angaben zufolge aber nicht die tatsächliche Zahl von Fällen sexualisierter Gewalt wider. Castellucci, Wüst und Wazlawik nahmen am Thementag Macht-Missbrauch-Verantwortung auf dem Kirchentag teil.