An den Holocaust erinnern mit "Zweitzeugen"

An den Holocaust erinnern mit "Zweitzeugen"

Berlin (epd). Noch gibt es sie, aber es werden immer weniger: Zeitzeugen der Verfolgung und Ermordung von Juden, Homosexuellen, Sinti und Roma und weiteren Minderheiten unter den Nationalsozialisten. Wie eine Umfrage des Evangelischen Pressedienstes (epd) unter den KZ-Gedenkstätten ergab, können immer weniger Bildungseinrichtungen auf Zeitzeugen zurückgreifen, die mit der Schilderung ihres Schicksals den Schrecken greifbar machen. 78 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs sind inzwischen viele gestorben. Selbst diejenigen, die damals Kinder waren, sind heute hochbetagt und oft gar nicht mehr oder nur noch eingeschränkt fähig zu reisen, wie die Gedenkstätten mitteilten.

Viele Gedenkstätten laden inzwischen Nachfahren von Schoah-Überlebenden ein. Während die großen Gedenkstätten in Dachau, Sachsenhausen oder Bergen-Belsen 2022 noch viele Veranstaltungen mit Zeitzeugen anboten, hatten bundesweit weniger bekannte Erinnerungsorte wie die NS-„Euthanasie“-Gedenkstätte im hessischen Hadamar oder die KZ-Gedenkstätte in Wöbbelin (Mecklenburg-Vorpommern) ausschließlich Angehörige von Opfern der Nazis zu Gast.

Auch in der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg (Bayern) arbeitet man nach Angaben eines Sprechers vermehrt an Formaten, in denen Angehörige ehemaliger Häftlinge aus der zweiten oder dritten Generation mit Jugendlichen reden. „Zweitzeugen“ nennt das die Gedenkstätte für NS-Opfer im rheinland-pfälzischen Neustadt.

„Zweitzeugen“ heißt auch ein Verein in Essen, der darunter aber etwas anderes versteht: Er vermittelt Kindern und Jugendlichen Zeitzeugenberichte und will sie so selbst zu Zeugen - eben „Zweitzeugen“ - machen, die die Erinnerung an die Opfer des Holocaust aufrechterhalten.

Zwar könne nichts die persönliche Erzählung eines Überlebenden ersetzen, sagte Vorstandsmitglied Ruth-Anne Damm dem epd. Dennoch sei es wichtig, die Geschichte des Holocaust über menschliche Schicksale zu vermitteln. Zahlen und Fakten schüfen im Übermaß Überdruss. „Wir müssen aufpassen, dass Erinnerung mit dem Schwinden der Zeitzeugen nicht entmenschlicht wird“, sagte Damm. 20.000 Kinder und Jugendliche hat der Verein nach eigenen Angaben bereits zu „Zweitzeugen“ gemacht.