Afghanistan: UN und Hilfswerke können ohne Frauen nicht helfen

Afghanistan: UN und Hilfswerke können ohne Frauen nicht helfen
In Afghanistan dürfen Frauen nicht mehr für Hilfswerke arbeiten. Das gefährdet nach Einschätzung von NGOs Hunderttausende Menschen.

Frankfurt a.M., New York (epd). Nach dem Verbot für Frauen in Afghanistan, bei Hilfswerken zu arbeiten, warnen Organisation von den gravierenden Folgen. „Es geht buchstäblich um Leben oder Tod“, sagte die Generalsekretärin von Care International, Sofia Sprechmann Sineiro, bei einer virtuellen Pressekonferenz von Care, „Save the Children“, World Vision und dem Norwegischen Flüchtlingsrat (NRC) am Donnerstag. Hunderttausende Menschen könnten nach Einschätzung von „Save the Children“-Chefin Inger Ashing wegen des Verbots sterben.

Die vier Hilfswerke mussten ihre Arbeit einstellen. „Wir können nicht weiterarbeiten ohne unsere weiblichen Beschäftigten“, betonten Ashing und NRC-Regionaldirektor Adam Combs.

Die radikalislamischen Taliban, die im Land seit August 2021 herrschen, hatten vergangene Woche ein Beschäftigungsverbot für Frauen bei lokalen wie internationalen Hilfsorganisationen erlassen. Zur Begründung hieß es, die Frauen hielten die Kleidungsvorschriften nicht ein.

Laut den Hilfswerken leiden etwa 19 Millionen Afghaninnen und Afghanen unter gravierender Ernährungsunsicherheit, sechs Millionen Menschen sind akut vom Hungertod bedroht. Es handele sich um eine der schlimmsten humanitären Katastrophen der Welt. „Jeden Tag steigt der Hilfsbedarf“, sagte der Präsident von World Vision, Andrew Morley. Doch viele Frauen dürfen laut Sprechmann nicht von Männern versorgt oder behandelt werden. „Mit diesem Dekret verlieren die Hilfswerke Zugang zur Hälfte der Bevölkerung.“

Auch die Vereinten Nationen sehen ihre Arbeit in Afghanistan gefährdet. Zusammen mit internationalen Hilfswerken erklärten UN-Organisationen, es sei absehbar, dass viele Aktivitäten ausgesetzt werden müssten. Frauen seien unerlässlich, ihre Expertise unverzichtbar. „Sie retten Leben.“

Das Verbot treffe das Land zu einem Zeitpunkt, zu dem mehr als 28 Millionen Menschen Hilfe bräuchten, um in einer Ernährungskrise, wirtschaftlichem Niedergang, ausgeprägter Armut und einem brutalen Winter zu überleben, erklärten UN-Organisationen wie die WHO, Unicef, das Flüchtlingshilfswerk UNHCR und die Ernährungsorganisation FAO sowie Hilfswerke wie Islamic Relief, „Save the Children“, Care und Mercy Corps.

Auch die Welthungerhilfe musste ihre Arbeit einstellen. „Wir gehen davon aus, dass 11,6 Millionen Frauen und Mädchen nicht mehr in der Art und Weise erreicht werden können, wie das bisher der Fall war“, sagte Generalsekretär Mathias Mogge dem Evangelischen Pressedienst (epd). So könnten von Frauen geführte Haushalte nicht mehr direkt konsultiert werden. „Wir wissen dann nicht mehr, was eigentlich benötigt wird, wie es den Frauen geht und ob unterernährte Kinder in den Haushalten leben.“

Mehrere Außenministerinnen und Außenminister verurteilten das Verbot in einer gemeinsamen Erklärung. Es sei fahrlässig und gefährlich, erklärten die Vertreter von Australien, Kanada, Dänemark, Frankreich, Deutschland, Italien, Japan, Norwegen, der Schweiz, der Niederlanden, des Vereinigten Königreichs und der USA sowie der EU-Außenbeauftragte. „Wir rufen die Taliban auf, diese Entscheidung sofort rückgängig zu machen.“ Es sei nicht möglich, die Bedürftigsten in Afghanistan ohne die Beteiligung von Frauen zu erreichen. Die Taliban zeigten weiter ihre Verachtung für die Rechte und das Wohlergehen der afghanischen Bevölkerung und ihr Desinteresse an normalen Beziehungen zur internationalen Gemeinschaft.

„Ärzte ohne Grenzen“ kündigte an, weiter mit gemischten Teams in Afghanistan arbeiten zu wollen. Bislang würden die Mitarbeiterinnen nicht daran gehindert. „Mehr als 51 Prozent unseres medizinischen Personals sind Frauen“, erklärte Landesvertreter Filipe Ribeiro. Das seien fast 900 Ärztinnen, Krankenschwestern und andere Fachleute. „Ohne sie kann die Arbeit von Ärzte ohne Grenzen nicht geleistet werden.“