Högel-Prozess: Staatsanwaltschaft und Verteidigung fordern Freispruch

Högel-Prozess: Staatsanwaltschaft und Verteidigung fordern Freispruch
Anklage kann früheren Chefs vorsätzliche Beihilfe nicht nachweisen
17 Jahre nach der letzten Tat endet die strafrechtliche Aufarbeitung der Klinikmorde durch den Ex-Pfleger Niels Högel. Obwohl seine Chefs massiven Argwohn hegten, ist ihnen eine Beihilfe oder Billigung laut Staatsanwaltschaft nicht nachzuweisen.

Oldenburg (epd). Im Prozess gegen sieben ehemalige Vorgesetzte des Patientenmörders Niels Högel fordern sowohl die Staatsanwaltschaft als auch die Verteidigung einen Freispruch für alle Angeklagten. Drei Ärzte, zwei leitende Pflegerinnen, ein leitender Pfleger sowie der Ex-Geschäftsführer der Kliniken Oldenburg und Delmenhorst müssen sich vor dem Oldenburger Landgericht wegen Beihilfe zum Totschlag oder versuchtem Totschlag durch Unterlassen verantworten (Az.: 5 Ks 20/16).

Es habe zwar Auffälligkeiten und Unbehagen gegeben, sagte Staatsanwältin Gesa Weiß in ihrem Schlussplädoyer am 28. Verhandlungstag. Jedoch sei eine vorsätzliche Beihilfe durch Unterlassen nach Sichtung der Beweise nicht festzustellen. Ebensowenig sei nachzuweisen, dass die Angeklagten Schädigungen von Patienten durch Högel bewusst in Kauf genommen hätten. Die Nebenklage schloss sich dieser Auffassung an. Das Urteil soll am 25. Oktober verkündet werden.

Die Staatsanwältin sprach von massiven Fehlern der Kliniken im Umgang mit den Verdachtsmomenten gegen Högel. Für einen möglichen Schuldspruch stelle sich aber allein die Frage, ob eine vorsätzliche Beihilfe festzustellen sei. „Das ist nicht der Fall. Darum Freispruch.“ Nach Einschätzung der Staatsanwältin endet 17 Jahre nach dem letzten Mord durch Högel nun die strafrechtliche Aufarbeitung der Geschehnisse. In dem Prozess habe geklärt werden müssen, ob die Vorgesetzten eine Mitverantwortung dafür tragen, dass Högel nicht früher gestoppt wurde.

Zwei Vertreterinnen und ein Vertreter der Verteidigung für die Oldenburger Fälle wiesen in ihren Schlussworten die „absurden“ Anschuldigungen gegen ihren Mandanten entschieden zurück. Die Verteidigerin eines früheren Arztes betonte: „Vorhersehbar waren die bösen Absichten Högels nicht“.

Auch die Verteidigerin der damaligen Pflegedirektorin sah ihre Mandantin von den „monströsen Anklagevorwürfen“ vollständig entlastet. Als Personalverantwortliche für mehr als 1.000 Mitarbeitende habe sie keinen Kontakt zu Högel oder dessen Arbeitsalltag gehabt. Auch habe sie nicht von Verdächtigungen erfahren. Denn hätte sie von solchen Vorwürfen gehört, hätte sie Högel nicht weiter arbeiten lassen.

Ebenso sah der Verteidiger des damaligen Leiters der Intensivstation seinen Mandanten als entlastet. Allein die Annahme, ein Mitarbeitender habe Tötungen im Krankenhaus für möglich gehalten oder sich gar damit abgefunden, sei „lebensfremd und fern“. An diesem Donnerstag sollen weitere Plädoyers der Verteidigung folgen.

Die Angeklagten können damit auf einen Freispruch hoffen. Das Gericht hatte in einer vorläufigen Einschätzung bereits vor drei Wochen mitgeteilt, die Beweisaufnahme habe ein vorsätzliches Handeln nicht mit ausreichender Gewissheit belegt.

Högel wurde 2019 wegen 85-fachen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt. Er hatte Patienten mit Medikamenten vergiftet, um sie anschließend reanimieren zu können. So wollte er als Lebensretter glänzen. Högel war zunächst in Oldenburg, später am Delmenhorster Krankenhaus als Krankenpfleger beschäftigt.

Der Vorsitzende der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, sagte in einer Stellungnahme, das Strafrecht sei nicht in der Lage, Verantwortung und Schuld der Vorgesetzten und Mitarbeiter des Serienmörders Högel aufzuarbeiten. Auch deshalb müssten die Krankenhäuser und der Gesetzgeber auf Prävention setzen. „Es braucht eine Kultur des Hinschauens auf allen Ebenen in der Alten- und Krankenpflege.“