Hannover (epd). Der Vorsitzende des Sozialverbandes Deutschland (SoVD) in Niedersachsen, Bernhard Sackarendt, sieht in den erheblichen Preissteigerungen für Lebensmittel, Energie und Mieten eine bedrohliche Entwicklung für die Gesellschaft. Schon jetzt seien über 18 Prozent der Menschen armutsgefährdet, sagt Sackarendt im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). „Führt man sich dazu vor Augen, dass die reichste Hälfte der Deutschen über 99 Prozent des Gesamtvermögens verfügt, wird die Sprengkraft für den sozialen Frieden deutlich.“
Corona-Pandemie und Ukraine-Krieg haben nach Ansicht Sackarendt die sozialen Risse in der Gesellschaft weiter vertieft. Die Schere zwischen Arm und Reich gehe bereits seit Jahrzehnten immer drastischer auseinander. Dazu beigetragen habe unter anderem eine Wirtschafts-, Finanz- und Steuerpolitik, die das wirtschaftliche Geschehen vorwiegend dem freien Markt überlassen habe, sagte der studierte Volkswirt.
Besonders sichtbar werde das beim Thema Wohnen. Immer weniger Menschen könnten die „wahnsinnig hohen Mietpreise“ noch bezahlen. Die Folge: „Die Leute rücken zusammen, sie ziehen in kleinere Wohnungen, mit allen Spannungen, die es mit sich bringt, wenn Menschen zu nah aufeinandersitzen.“ Inzwischen sei die Angst vor dem Abstieg mitten in der Gesellschaft angekommen.
Sackarendt forderte, die Bereiche Gesundheit und sozialer Wohnungsbau weitgehend unter staatliche Hoheit zu stellen. Es sei ein Fehler gewesen, beispielsweise Landeskrankenhäuser und landeseigene Wohnungsbaugesellschaften zu privatisieren. Der Staat habe sich damit um die Möglichkeit gebracht, regulierend eingreifen zu können. „Das bekommen wir jetzt schmerzhaft zu spüren.“
Wichtige Bausteine, um den Sozialstaat zukunftssicher aufzustellen, sind nach Ansicht von Sackarendt eine solidarische Bürgerversicherung als Ersatz für die aktuelle Kranken- und Pflegeversicherung sowie eine Erwerbstätigenversicherung, in die alle einbezogen werden, auch Beamte, Selbstständige und Politiker. „Außerdem brauchen wir einen dynamischen Mindestlohn, der sich an den Lebenshaltungskosten orientiert“. Zur Finanzierung sei für den Sozialverband die Besteuerung hoher Erbschaften ebenso denkbar wie die Anhebung des Spitzensteuersatzes oder eine Vermögens- und Finanztransaktionssteuer.
Eines der größten gesellschaftlichen Probleme sieht Sackarendt in der fehlenden Chancengleichheit. Das Aufstiegsversprechen der Sozialen Marktwirtschaft sei für viele Menschen nicht mehr glaubhaft. In der Folge würden sich Menschen von der gesellschaftlichen Mitte ab- und politischen Extremen zuwenden. „Ich fürchte, diese Politik- und Demokratieverdrossenheit wird weiter zunehmen - das ist ein großes Risiko für unsere Demokratie.“