Missbrauchsgutachten: Marx sieht "tiefen Einschnitt" für seine Kirche

Missbrauchsgutachten: Marx sieht "tiefen Einschnitt" für seine Kirche
Das Missbrauchsgutachten hat das Erzbistum München schwer erschüttert. Am Donnerstag äußerte sich Erzbischof Marx erstmals inhaltlich und sprach von einer "dunklen Seite" und einem Desaster für die Kirche. Er kündigte an, im Amt bleiben zu wollen.

München (epd). Das Münchner Missbrauchsgutachten ist nach Aussage des Münchner Erzbischofs Reinhard Marx ein „tiefer Einschnitt“ für die katholische Kirche. Nach der Lektüre des Gutachtens sei er „erschüttert und erschrocken“ - vor allem über das Leid der Opfer, über Täter und das Verhalten von Verantwortlichen, sagte der Kardinal am Donnerstag während einer Pressekonferenz. Er bat die Opfer „persönlich und auch im Namen des Erzbistums“ erneut um Entschuldigung, will aber zunächst im Amt bleiben.

Das unabhängige Gutachten der Münchner Anwaltskanzlei Westpfahl Spilker Wastl gibt Hinweise auf mindestens 497 Opfer und 235 Täter im Erzbistum München und Freising zwischen den Jahren 1945 und 2019, darunter 173 katholische Priester. „Wir sehen ein Desaster“, sagte Marx, der nun eine Woche Zeit hatte, das Gutachten zu studieren. Missbrauch und Gewalt seien eine „dunkle Seite“ und würden fortan auch als Teil der Geschichte unseres Erzbistums sichtbar sein.

Marx kündigte eine personelle Konsequenz an: Prälat Lorenz Wolf, der einer der mächtigsten Männer im Erzbistum ist, wolle vorerst „alle seine Ämter und Aufgaben ruhen lassen“. Der Prälat wurde im Gutachten schwer belastet, er soll in seinen Ämtern und Funktionen wesentlich dazu beigetragen haben, schwere Missbrauchsdelikte zu vertuschen und zu verharmlosen. Wolf ist als Offizial höchster Kirchenrichter im Erzbistum. Weitere Rücktritte gab es vorerst nicht, Marx überließ die Entscheidung dazu den Verantwortlichen selbst.

Über sich selbst sagte der Erzbischof, er sei bereit, Verantwortung zu übernehmen. Ein Rücktritt zum jetzigen Zeitpunkt habe etwas von „sich aus dem Staub machen“. Marx sagte aber auch: „Ich klebe nicht an meinem Amt.“ Sein Angebot des Amtsverzichts vom Mai 2021 an Papst Franziskus - das dieser abgelehnt hatte - sei ernstgemeint gewesen. Falls er den Eindruck gewinne, dass er im Aufarbeitungsprozess ein Hindernis sein sollte, dann werde er das Gespräch mit den Beratungsgremien suchen und sich kritisch hinterfragen lassen, betonte Marx. „In einer synodalen Kirche werde ich diese Entscheidung nicht mehr mit mir allein ausmachen.“

Zum emeritierten Papst Benedikt XVI., dem im Gutachten Fehlverhalten in vier Fällen während seiner Zeit als Münchner Erzbischof (1977-1982) vorgeworfen wird, äußerte sich Marx erst auf Nachfrage. Benedikt habe die Aufarbeitung begrüßt und wolle sich in den kommenden Tagen nochmal äußern. Er habe die Aufklärung nicht abgelehnt oder verhindert - „und das finde ich erstmal gut“.

Marx kündigte zugleich an, spätestens in einem Jahr berichten zu wollen, welche konkreten Veränderungen es im Erzbistum im Zuge des Missbrauchsgutachtens gegeben habe. Außerdem soll in Zusammenarbeit mit dem Betroffenenbeirat über ein angemessenes Gedenken und Erinnern an die Betroffenen sexuellen Missbrauchs in der Kirche nachgedacht werden.

Der Sprecher der Betroffeneninitiative „Eckiger Tisch“, Matthias Katsch, forderte eine unabhängige Beratungsstelle für Missbrauchsopfer. „Angesichts der zahlreichen Menschen, die wieder aufgewühlt sind von den Berichten, brauchte es möglichst rasch die Schaffung einer bundesweit erreichbaren, unabhängigen Beratungsstelle, die nach dem betroffenenkontrollierten Ansatz arbeitet“, sagte er dem Evangelischen Pressedienst (epd).