Oberlinhaus-Prozess: Widersprüchliche Angaben über Angeklagte

Oberlinhaus-Prozess: Widersprüchliche Angaben über Angeklagte
Im Mittelpunkt der Aussagen stehen am sechsten Verhandlungstag der Zustand der Angeklagten unmittelbar nach der Gewalttat und die Verletzungen der Überlebenden. Mediziner gewannen widersprüchliche Eindrücke von Ines R.

Potsdam (epd). Im Prozess wegen der Tötung von vier Schwerstbehinderten im Potsdamer Oberlinhaus haben Mediziner unterschiedliche Einschätzungen zum Zustand der Angeklagten nach der Tat geäußert. Der Gerichtsmediziner Knut A. sagte am Montag vor dem Landgericht Potsdam aus, er habe die Frau bei einer Untersuchung in den frühen Morgenstunden des Folgetags bedrückt und verlangsamt wahrgenommen.

Ihre Augen seien geschwollen und gerötet gewesen, die Pupillen leicht erweitert, sagte der Gerichtsmediziner. Daher habe er eine Untersuchung ihrer Gewahrsamstauglichkeit angeregt. Ines R. wurde am Tag nach der Tat in eine psychiatrische Klinik eingewiesen.

Der Arzt, der in den Stunden unmittelbar nach der Tat entschieden hatte, die Frau könne in Gewahrsam genommen werden, beschrieb sie vor Gericht dagegen als „sehr entspannt, fast gelöst“. Fragen nach Erschöpfung und Niedergeschlagenheit habe sie verneint, sagte Sascha J. aus. Ihr Zustand habe in einem Missverhältnis zu den Vorwürfen gestanden. Möglicherweise habe sie diese nicht wahrhaben wollen. Wegen Bedenken, dass ihr die Tragweite des Geschehens klar werden könne, habe er angesichts drohender Suizidgefahr Sichtkontrolle angeordnet.

Die Gewalttat im Potsdamer Oberlinhaus Ende April hatte deutschlandweit Entsetzen ausgelöst. Zum Auftakt des Prozesses Ende Oktober sprach die angeklagte langjährige Mitarbeiterin über ihre psychischen Beeinträchtigungen und Personalmangel in der diakonischen Einrichtung. Die 52-Jährige muss sich wegen Mordes und weiterer Straftaten verantworten. Die Staatsanwaltschaft geht von einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit aus.

Notarzt Christof M. äußert sich vor Gericht über den Zustand der Überlebenden der Gewalttat, die er in der Tatnacht als Notarzt versorgt hatte. Sie habe einen bis zu 20 Zentimeter langen Schnitt am Hals aufgewiesen. Nach seinem Ermessen war dazu ein sehr scharfes Messer oder starke Kraftanwendung nötig.

Ein weiterer Notarzt, der nach der Tat ins Oberlinhaus gerufen wurde, bestätigte vor Gericht, dort den Satz gehört zu haben: „Jetzt ist endlich Ruhe auf der Station.“ Matthias W. gab an, sich nicht zu erinnern, wer diese Worte geäußert habe.

Bei der Durchsuchung im Haus der Angeklagten wurden nach der Aussage eines Kriminalkommissars zwei Messer gefunden, von deren Existenz der Ehemann nach eigenem Bekunden keine Kenntnis hatte. Der Mann von Ines R. habe sich geäußert, obwohl der Verteidiger ihm davon abgeraten habe. Er habe offensichtlich „Redebedarf“ gehabt. Timo R. habe gesagt, die Tat sei ihm „nicht erklärlich“. Er habe von Überlastung seiner Frau durch bis zu zwölftägige Arbeitseinsätze mit bis zu zwölfstündigen Diensten berichtet.

Für Dienstag sind Gerichtsangaben zufolge fünf Mitarbeiter des Oberlinhauses als Zeugen geladen. Die Sachverständige, die ein psychiatrisches Gutachten über die Angeklagte erstellte, wird nach Angaben des zuständigen Richters Theodor Horstkötter am 9. Dezember aussagen. Darüber hinaus werde möglicherweise nach dem bislang angesetzten letzten Verhandlungstag am 16. Dezember ein weiterer Tag nötig sein, sagte er mit Blick auf ausgefallene und nur teilweise nachgeholte Verhandlungen.