Rufe nach Stopp der Abschiebungen nach Afghanistan werden lauter

Rufe nach Stopp der Abschiebungen nach Afghanistan werden lauter
Die Taliban erobern in Afghanistan immer mehr Gebiete. Menschenrechtsorganisationen fordern daher, Abschiebungen in das Land auszusetzen. SPD-Kanzlerkandidat Scholz macht ein Versprechen.

Berlin (epd). Nach der Eroberung wichtiger Städte durch die radikal-islamischen Taliban fordern Menschenrechtsgruppen ein Stopp aller Abschiebungen nach Afghanistan. 26 Organisationen, darunter Pro Asyl, „Brot für die Welt“, Caritas und Diakonie, verlangten am Dienstag in einem gemeinsamen Aufruf von der Bundesregierung, geltendes Recht zu achten und Abschiebungen mit dem Ziel Kabul auszusetzen.

„Deutschland darf die Augen vor der sich immer weiter verschlechternden Lage in Afghanistan nicht verschließen und muss alle Abschiebungen einstellen“, heißt es in dem Appell. „Rechtsstaat heißt, dass menschenrechtliche Prinzipien eingehalten werden.“ Das völkerrechtliche Nicht-Zurückweisungsgebot, das aus dem absoluten Folterverbot abgeleitet werde und das Abschiebungen bei zu erwartenden schwersten Menschenrechtsverletzungen verbiete, gehöre dazu. „Dieses Abschiebungsverbot gilt unabhängig von individuellem Verhalten.“

Am Sonntag hatten die Taliban die Stadt Kundus im Norden eingenommen. Nach Sarandsch, Sar-e-Pul und Scheberghan war es die vierte Provinzhauptstadt des Landes, die in die Hände der Aufständischen fiel. In Kundus war auch die Bundeswehr stationiert.

Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) versprach unterdessen, afghanische Bundeswehr-Helfer schneller nach Deutschland zu holen. „Wir diskutieren, ob es Möglichkeiten gibt, den Transport zu beschleunigen, um die Betroffenen schneller auszufliegen“, sagte der Finanzminister der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ (Dienstag). „Das kann Deutschland aber nicht alleine entscheiden, da geht es um eine enge Abstimmung mit der afghanischen Regierung“, fügte Scholz hinzu. Es liefen intensive Bemühungen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte bereits vor drei Wochen versprochen, „pragmatische Lösungen“ zu finden, um afghanische Ortskräfte nach Deutschland zu holen und gegebenenfalls auch über Charterflugzeuge nachzudenken. Doch noch immer müssen diejenigen, die es nicht aus eigener Kraft nach Deutschland schaffen, in dem Land ausharren.

Die Bundesregierung will nach eigenen Angaben allen afghanischen Mitarbeitern von Bundeswehr und Polizei, die ab 2013 ein Visum für Deutschland angestrebt haben, dieses bewilligen. Damit sollen die Helfer nach dem Abzug der internationalen Truppen vor Racheakten der Taliban geschützt werden. Bislang wurden dafür rund 2.400 Visa für Ortskräfte und ihre engen Verwandten ausgestellt. Bis zum 6. August reisten laut Verteidigungsministerium 1.675 Personen ein - 333 ehemalige Ortskräfte mit 1.342 Angehörigen.

Zur Debatte über einen Abschiebestopp erklärte SPD-Kanzlerkandidat Scholz derweil: „Generell bleibt es unser Wunsch, diejenigen abzuschieben, die schwere Straftaten begangen haben. Solche Täter dürfen nicht damit rechnen, dass sie bei uns bleiben können.“ In welche Länder nicht abgeschoben werde, ergebe sich aus den Lageberichten des Auswärtigen Amtes.

Diese Lageberichte werden vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) sowie von anderen für Asylfragen zuständigen Behörden und Gerichten zur Grundlage genommen, um über Abschiebungen zu entscheiden. Der aktuelle Bericht steht jedoch in der Kritik, weil er überwiegend die Lage von Mai beschreibt, als noch Nato-Truppen in Afghanistan waren und die Taliban sich mit ihrer militärischen Offensive noch zurückgehalten hatten.