Sozialethiker Emunds: Bedarf an 24-Stunde-Pflege reduzieren

Sozialethiker Emunds: Bedarf an 24-Stunde-Pflege reduzieren
11.07.2021
epd
epd-Gespräch: Dieter Schneberger

Frankfurt a.M. (epd). Der Frankfurter Sozialethiker Bernhard Emunds hat das Urteil des Bundesarbeitsgerichts zur 24-Stunden-Pflege als einen „Weckruf für die Politik“ bezeichnet. In der Entscheidung werde deutlich, dass diese besondere Form der Pflege „verbogen und verbeult“ sei, sagte der Leiter des Oswald-Nell-Breuning-Instituts der katholischen Hochschule St. Georgen dem Evangelischen Pressedienst (epd). Nun müsse die neue Bundesregierung handeln.

Deutschland wirbt seit Anfang der 90er-Jahre Mittel- und Osteuropäerinnen an, damit sie pflegebedürftige Menschen in ihrem häuslichen Umfeld betreuen. Sie leben meist mit ihnen unter einem Dach. Bei der sogenannten Live-In-Pflege handele es sich „nicht selten um Schwarzarbeit und zumeist um Ausbeutung“, sagte Emunds. Zehn bis zwanzig Prozent der Pflegepersonen würden von Agenturen vermittelt, die sich rechtlich in einem „grau-melierten“ Bereich bewegten. „Die Politik hat das alles laufen lassen, weil es für sie billiger ist.“ Die Kosten übernähmen vor allem Mittelschichtshaushalte, „die sich das leisten können“.

Zwar sei davon auszugehen, dass nach dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts noch mehr Pflegekräfte aus Mittel- und Osteuropa in Schwarzarbeit beschäftigt würden. Aber das Risiko horrender Nachzahlungen für Bereitschaftszeiten gingen dann die Familien selbst ein und nicht, wie in dem Urteil, die Agentur.

Nach den Angaben von Emunds erhält eine Live-In-Pflegekraft zwischen 800 und 1.700 Euro im Monat. Die meisten würden von Agenturen in Deutschland vermittelt, die zwischen 2.000 und 3.400 Euro monatlich kassierten. „Wenn die Agentur in Mittel- und Osteuropa angesiedelt ist, geht das auf bis zu 1.500 Euro runter.“

Emunds schlug eine Reform der Pflege vor, die den Bedarf für eine 24-Stunden-Betreuung von zwei Seiten aus reduziert. Zum einen müssten die Pflegeheime attraktiver werden, „so dass sie das Image als Schreckgespenst verlieren“. Zum anderen müssten in der häuslichen Pflege die Angehörigen etwa dadurch entlastet werden, dass Tages- und Nachtpflege ausgebaut und darüber hinaus womöglich neue „kreative Betreuungsdienstleistungen“ geschaffen werden. „Das würde zwar mehr kosten, aber auch die Pflegequalität verbessern“, betonte Emunds.

Gleichwohl werde es auch in der Zukunft die Live-In-Pflege geben, sagte der Wissenschaftler. Auch dort müsse die Politik regelnd eingreifen. „Denkbar wäre es etwa, dass eine solche Pflegekraft 40 Stunden pro Woche ihren Dienst versieht und die Agenturen dazu Bereitschaften organisieren.“ Dazu müsse man die Agenturen zu Arbeitgebern machen, „dies wäre auch aus arbeits- und sozialrechtlicher Sicht sinnvoll“.