Urteil: Aus Ausland entsandte Pflegekraft muss Mindestlohn erhalten

Urteil: Aus Ausland entsandte Pflegekraft muss Mindestlohn erhalten
Ausländischen Betreuungskräften in deutschen Seniorenhaushalten steht der gesetzliche Mindestlohn zu. Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts dürfte massive Folgen für die häusliche Pflege haben.

Erfurt (epd). Nach Deutschland entsandte ausländische Pflege- und Betreuungskräfte haben Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn. Wie das Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt in einem am Donnerstag verkündeten Grundsatzurteil entschied, besteht der Mindestlohnanspruch auch für Bereitschaftsarbeit und auch für Pflegekräfte, die 24 Stunden am Tag sieben Tage in der Woche Menschen in ihren Privatwohnungen pflegen. Die Deutsche Stiftung Patientenschutz sieht mit der Gerichtsentscheidung einen „Tsunami“ auf die ambulante Pflege und die Familien mit pflegebedürftigen Angehörigen zukommen. (AZ: 5 AZR 505/20)

Den konkreten Fall einer bulgarischen Pflege- und Haushaltskraft, die nach ihren Angaben monatelang rund um die Uhr eine über 90-jährige Frau betreut hatte, verwiesen die obersten Arbeitsrichter an das Landesarbeitsgericht in Berlin zurück. Das Gericht muss noch einmal prüfen, ob die Klägerin tatsächlich rund um die Uhr im Dienst war und ihr ein Nachschlag auf der Basis des in Deutschland geltenden gesetzlichen Mindestlohns zusteht. Die bei einer bulgarischen Firma angestellte und über eine deutsche Agentur vermittelte Pflegekraft hatte eine Nachzahlung in Höhe von 42.636 Euro abzüglich bereits gezahlter 6.680 Euro verlangt.

Laut Arbeitsvertrag sollte sie sechs Stunden täglich und 30 Stunden wöchentlich arbeiten. Die Klägerin gab jedoch an, dass die Arbeit viel länger war. Sie habe 24 Stunden täglich an sieben Tagen in der Woche gearbeitet beziehungsweise sei in ständiger Bereitschaft gewesen.

Das BAG stellte in seinem Urteil fest, dass bei einer Rund-um-die-Uhr-Betreuung über Wochen und Monate die betroffenen ausländischen Pflegekräfte Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn haben. Dazu gehöre auch ein Bereitschaftsdienst, der ebenfalls voll vergütet werden müsse. Ein solcher könne darin bestehen, „dass die Betreuungskraft im Haushalt der zu betreuenden Person wohnen muss und grundsätzlich verpflichtet ist, zu allen Tag- und Nachtstunden bei Bedarf Arbeit zu leisten“, urteilte das BAG.

Eugen Brysch von der Deutschen Stiftung Patientenschutz sieht mit der BAG-Entscheidung einen „Tsunami“ auf die ambulante Pflege und die Familien mit pflegebedürftigen Angehörigen zurollen. Viele könnten es sich nicht leisten, Lohnkosten in der vom Gericht festgestellten Höhe aufzubringen. Derzeit seien mindestens 100.000 ausländische Helfer offiziell in deutschen Haushalten beschäftigt, hinzu kämen schätzungsweise weitere 200.000 Menschen, die ohne schriftliche Vereinbarung hier arbeiten.

Die Präsidentin des Sozialverbandes VdK, Verena Bentele, sagte den Zeitungen der Funke Mediengruppe: „Rund-um-die-Uhr-Pflege ist nur noch mit Mindestlohn legal. Für die allermeisten wird sie damit unbezahlbar.“ Mit dem BAG-Urteil zum Mindestlohn für ausländische Pflegekräfte drohe das „Armageddon“ der häuslichen Pflege. Bentele rügte, dass die Politik das drängende Problem der häuslichen Pflege jahrelang ausgeblendet habe.

Die Linke begrüßte das Urteil. „Es ist gut, dass die Gerichte hinschauen, wo die Bundesregierung die Augen verschließt“, sagte Susanne Ferschl, Fraktionsvize im Bundestag.