Mainzer Arzt: Situation in Bosnien schlimmer als auf Lesbos

Mainzer Arzt: Situation in Bosnien schlimmer als auf Lesbos
11.01.2021
epd
epd-Gespräch: Karsten Packeiser

Bihac, Mainz (epd). Die Situation der Flüchtlinge im Norden von Bosnien-Herzegowina ist nach Einschätzung des Mainzer Arztes Gerhard Trabert noch dramatischer als in den berüchtigten Flüchtlingslagern auf Lesbos. "Wir hier die Menschen hausen, ist unglaublich", sagte der Vorsitzende des Hilfsvereins "Armut und Gesundheit in Deutschland" dem Evangelischen Pressedienst (epd) aus der Stadt Bihac. Die Männer aus Ländern wie Afghanistan und Pakistan hätten oft keine Winterkleidung. Viele hausten in Ruinen oder leerstehenden Fabrikhallen ohne Wasser und Strom.

"Viele tragen Flipflops und besitzen weder Schuhe noch Strümpfe", sagte der Arzt, der seit Jahren regelmäßig zu Hilfseinsätzen in Krisenregionen reist. Vor Ort, wenige Kilometer von der EU-Außengrenze zu Kroatien entfernt, habe es in den vergangenen Tagen kräftig geschneit, die Flüchtlinge versuchten, sich mit offenen Feuern vor dem Erfrieren zu retten: "Es würde mich nicht wundern, wenn hier Menschen sterben." Einige der Männer hätten infizierte Wunden, unter Flüchtlingen grassiere die Krätze, außerdem gebe es viele Menschen mit Atemwegserkrankungen. Eine medizinische Versorgung vor Ort existiere nicht.

Trabert hatte vor einigen Tagen mit vier Begleitern aus Mainz winterfeste Schlafsäcke, Isomatten, Unterwäsche und Mützen für die Notleidenden nach Bosnien gebracht und wollte noch bis Ende der Woche vor Ort bleiben. An den Arbeitsbedingungen für Hilfsorganisationen übte er scharfe Kritik. "Es ist alles unheimlich kompliziert und intransparent", sagte der Mediziner. "Ein Konzept für eine systematische Versorgung fehlt." Zwischen staatlichen Behörden und Nichtregierungsorganisationen gebe es keine Kooperation, dafür sehr viel Misstrauen.

So hätten die bosnischen Behörden auch ihm bislang nicht erlaubt, mit seinen beiden für den Hilfstransport genutzten Arztmobilen Kranke zu behandeln. "Dabei könnten wir hier wirklich etwas tun", erklärte Trabert. An die EU-Staaten appellierte er, sich auf eine Aufnahme der Menschen zu verständigen, statt sie weiter ihrem Schicksal zu überlassen. "Es erschüttert und macht wütend, wenn man dann in Deutschland die Statements von Politikern wie Friedrich Merz liest", sagte Trabert. Der Kandidat für den CDU-Bundesvorsitz hatte sich Anfang Januar strikt dagegen ausgesprochen, weitere Flüchtlinge aus griechischen oder bosnischen Elendslagern aufzunehmen.