Klein: Judenhass verbindet gesellschaftliche Mitte und Extremisten

Klein: Judenhass verbindet gesellschaftliche Mitte und Extremisten
Bei den Corona-Protesten demonstrieren Heilpraktikerinnen und "Reichsbürger" Seite an Seite. Dabei eint sie der Glauben an eine Verschwörung. Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung spricht von einer neuen, gefährlichen Entwicklung.

Berlin (epd). Die Corona-Pandemie bringt laut dem Antisemitismusbeauftragten der Bundesregierung, Felix Klein, den Judenhass in Deutschland zunehmend offen zutage. "In vielen Kreisen ist er wieder gesellschaftsfähig geworden", sagte Klein am Dienstag in Berlin. Er verbinde bei den Protesten gegen die Corona-Schutzmaßnahmen politische Milieus, die vorher wenig oder gar keine Berührungspunkte hatten: "Das ist wirklich neu". Das Spektrum reiche "von Esoterikbegeisterten über Heilpraktiker und Friedensbewegte bis hin zu Reichsbürgern und offen Rechtsextremen, die diese Demonstrationen als Mobilisierungsforum nutzen".

Das Hauptvehikel seien Verschwörungserzählungen über angeblich geheime Mächte, erläuterte Klein. Diese Mythen wirkten als Verbindungsglied zwischen der gesellschaftlichen Mitte und radikalisierten Rändern. Das mache die Lage so gefährlich. Der Beauftragte wies auf die vor einer Woche veröffentlichte Leipziger Autoritarismus-Studie hin, wonach es bei 33 Prozent der Befragten eine deutliche Zustimmung zu der Aussage gab: "Die Corona-Krise wurde so groß geredet, damit einige wenige davon profitieren können." Ein Drittel der Bürgerinnen und Bürger eines der freisten und wohlhabendsten Länder der Welt hätten somit "ein sehr verzerrtes Bild ihrer eigenen Stellung und ihrer eigenen Rechte", sagte er. Noch gefährlicher sei, dass sie ein höchst verzerrtes Bild der Stellung anderer hätten: nämlich von Juden sowie von demokratisch gewählten Politikerinnen und Politikern.

Es gefährde die Grundlagen der Demokratie, wenn politische Prozesse personalisiert und gesellschaftliche Probleme einzelnen Gruppen angelastet würden, als deren Opfer man sich fühle, erklärte Klein. Denn dann werde Gegenwehr zum vermeintlich legitimen Widerstand. Scharf kritisierte er jüngste Äußerungen von Corona-Leugnerinnen, die sich mit Nazi-Opfern verglichen. Das Selbstbild als verfolgtes Opfer sei ein zentrales Element antisemitischer Einstellungen, sagte er. Denn wer sich als Opfer fühle, gebe automatisch die Verantwortung ab und anderen die Macht.

Am Samstag hatte eine junge Frau, die sich als "Jana aus Kassel" vorstellte, auf einer Bühne der Corona-leugnenden "Querdenken"-Bewegung in Hannover gesagt: "Ich fühle mich wie Sophie Scholl, da ich seit Monaten aktiv im Widerstand bin." Sophie Scholl und ihr Bruder Hans Scholl gehörten zur Widerstandsgruppe "Weiße Rose". Sie wurden 1943 hingerichtet. Eine Woche zuvor hatte eine Elfjährige auf einer "Querdenken"-Bühne in Karlsruhe die Tatsache, dass sie ihren Geburtstag nicht wie gewohnt feiern konnte, in Beziehung gesetzt zum Schicksal von Anne Frank, die sich in einem Hinterhaus in Amsterdam vor den Nationalsozialisten versteckte hatte und später im Konzentrationslager Bergen-Belsen ums Leben kam.

Anetta Kahane, Vorsitzende der Amadeu Antonio Stiftung, sagte, Verschwörungsideologien hätten immer ein antisemitisches Betriebssystem. Denn Antisemitismus sei die Idee vom bösen Juden, den man beschuldigen könne für alles was schiefgehe. "Die Corona-Proteste haben etwas geschafft, was vorher so nicht möglich zu sein schien", betonte sie: Dass verschiedenste Milieus sich zusammenfänden, um sich in einer "geradezu irrationalen Form" aufzulehnen gegen die Errungenschaften der Moderne. Deutschland sei "Spitzenreiter" dabei - in anderen europäischen Ländern gebe es Proteste in dieser Form nicht. Kahane forderte mehr Programme, die sich gezielt gegen Verschwörungsideologien richteten. Außerdem müsse die Polizei entsprechend geschult und der Schutz jüdischer Einrichtungen müsse verbessert werden. Die Amadeu-Antonio-Stiftung engagiert sich seit mehr als 20 Jahren gegen Rechtsextremismus.

Juso-Chef Kevin Kühnert sprach sich dafür aus, massiv in Prävention, Aufklärung und Forschungsarbeit zu investieren. Betroffenen müssten Strategien zum Umgang mit radikalisierten Menschen in der Verwandtschaft oder am Arbeitsplatz an die Hand gegeben werden.