Die Hagia Sophia ist wieder eine Moschee

Die Hagia Sophia ist wieder eine Moschee
Nach mehr als acht Jahrzehnten wurde in der Hagia Sophia in Istanbul wieder ein muslimisches Gebet abgehalten. Auch Staatspräsident Erdogan kam. Die Kritik an der türkischen Entscheidung über das symbolträchtige Gebäude dauert an.

Frankfurt a.M./Istanbul (epd). Muezzinrufe von den Minaretten der Istanbuler Hagia Sophia: Erstmals seit 86 Jahren haben sich Muslime zum traditionellen Freitagsgebet in der einstigen Kirche im Herzen Istanbuls versammelt. Auch der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan nahm an der Zeremonie anlässlich der Umwidmung der Hagia Sophia zur Moschee teil - wie die übrigen Gläubigen wegen der Corona-Pandemie mit Mund-Nasen-Schutz im Inneren des gewaltigen frühbyzantinischen Kuppelbaus. Wie die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu berichtete, nahmen Hunderte Gläubige an dem Gebet in der Moschee teil, auch auf dem Vorplatz versammelten sich Tausende Menschen im Freien, um das Gebet mitzuverfolgen.

Die Anordnung der obersten Religionsbehörde in der Türkei (Diyanet), dass die Hagia Sophia zur Moschee wird, hatte in den vergangenen Wochen anhaltenden internationalen Protest hervorgerufen. Außenminister Heiko Maas (SPD) sprach von "einer Entscheidung, die wir nicht nachvollziehen können, da der Weltkulturerbe-Status dieses einzigartigen Gebäudes eine Bedeutung weit über die Türkei hinaus hat". Die Unesco werde entscheiden, welchen Einfluss die Maßnahmen der Türkei auf den Status der Hagia Sophia hätten, sagte Maas der Düsseldorfer "Rheinischen Post" und dem Bonner "General-Anzeiger" (Samstag). Ankaras Entscheidung sei zudem nicht hilfreich für den Dialog zwischen der EU und der Türkei.

Der ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Wolfgang Huber, sagte am Freitag dem Radiosender NDR Info: "Das ist ein symbolischer Akt, der an Dramatik kaum zu überbieten ist." Die Entscheidung, das Gebäude in ein muslimisches Gotteshaus umzuwandeln, sei eine klare Absage an religiöse Toleranz. "Wenn die Türkei eine Brücke zu Europa bewahren will, muss sie sich als ein Land verstehen, das elementare Menschenrechte anerkennt, Religionsfreiheit inbegriffen", sagte Huber.

Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Norbert Röttgen (CDU), warnte vor einem endgültigen Bruch der Europäischen Union mit der Türkei. "Die Beitrittsverhandlungen der EU mit der Türkei liegen inzwischen vollständig und richtigerweise auf Eis. Aber wir würden einen schweren Fehler machen, der Türkei die Tür zur EU endgültig, das heißt für immer, zuzuschlagen", sagte er der Düsseldorfer "Rheinischen Post" und dem Bonner "General-Anzeiger" (Samstag).

Das türkische Oberste Verwaltungsgericht hatte vor zwei Wochen entschieden, dass die Hagia Sophia wieder als Moschee genutzt werden darf. Das Gericht erklärte den Beschluss von 1934 für formal ungültig, der die Hagia Sophia zum Museum gemacht hatte. Auf die Sophienkirche erheben Christen und Muslime gleichermaßen Anspruch. Fast ein Jahrtausend lang war die Hagia Sophia die Hauptkirche des byzantinischen Reiches, bevor sie im 15. Jahrhundert nach der Eroberung Konstantinopels durch die Osmanen zur Moschee umgewandelt wurde.

Während des muslimischen Gebets wurden am Freitag die originalen Abbildungen und Mosaiken im Innenraum abgedeckt, wie Anadolu berichtete. Außerdem wurden Vorkehrungen getroffen, um eine Ansteckung mit dem Coronavirus unter den Gläubigen zu verhindern. Am Eingang wurden den Berichten zufolge die Körpertemperatur gemessen und das Tragen einer Mund-Nasen-Maske überprüft. Das Gebet wurde per Livestream ins Internet übertragen. Die Hagia Sophia sollte bis zum Morgen für Gläubige geöffnet bleiben.

epd hei/kfr