Geist-Inzidenz

Geist-Inzidenz
mit Pfarrer Benedikt Welter
30.05.2020 - 23:50
14.05.2020
Benedikt Welter

 

Das Wort zum Sonntag / Das Erste, Samstag, 30.05.2020, ca. 23:50 Uhr

Pfarrer Benedikt Welter

Am Anfang steht eine selbst verordnete Quarantäne! Die Bibel berichtet davon, in der Apostelgeschichte. Da wird die erste Variante vom Pfingstereignis erzählt: die Jesus-Jüngerinnen und -Jünger wohl mit der Mutter Jesu zusammen im Abendmahlsaal; Türen und Fenster verriegelt und verrammelt. Keiner will raus – nichts soll rein. Plötzlich fällt es wie Feuerzungen vom Himmel; Sturm bricht los, die Türen reißen auf und die Jesus-Leute machen sich auf, gehen raus, um allen in Jerusalem von Jesus zu erzählen. Das Überraschende: Die Menschen stammen aus allen möglichen Heimatländern – und verstehen trotzdem, was sie erzählt bekommen. Jede und jeder versteht – jeweils in der eigenen Sprache.

In diesen Wochen der Pandemie haben auch wir andere Sprachen zu verstehen gelernt. Die Sprache der Virologen und Epidemiologen – zum Beispiel. Eines von vielen neuen Worten, die ich gelernt habe, heißt "Inzidenz". Das ist die Anzahl von Infizierten im Verhältnis zu einer bestimmten Bevölkerung. Inzidenz.

Gibt es auch so etwas wie eine "Pfingst-Inzidenz", frage ich mal? Gibt es also eine messbare Zahl von Menschen, die sich vom Heiligen Geist "anstecken" lassen? Die Pfingsterzählung berichtet von Feuerzungen und von Sturm und vom Aufbruch nach draußen; das steht ja zunächst mal genau gegen das, was die Pandemie uns aufnötigt, allen Lockerungen zum Trotz: Eher zuhause bleiben. Kontakte reduzieren. Mund-Nase-Schutz tragen. Räumlicher Abstand: das alles bleibt wichtig und hilfreich und notwendig!

Pfingsten würde 2020 wohl ausfallen. Aber Einschränkung des Heiligen Geistes?

Nein. Neben der offensiven Pfingsterzählung in der Apostelgeschichte gibt es auch eine viel stillere. Sie steht im Johannesevangelium. Obwohl sie den Corona-Maßnahmen auch widerspricht. Da trifft der Heilige Geist die Jesus-Jünger ganz leise: Jesus steht – trotz verrammelter Türen – mitten unter seinen Leuten und sagt: "Empfangt den Heiligen Geist." Und dabei haucht er sie an, heißt es; klingt seltsam in Zeiten von Tröpfchen-Infektion und Virus-Aerosolen. Dabei hatten die Jünger sich doch in selbstgewählte Quarantäne begeben. Aus Angst. Aus Angst vor den Menschen da draußen – die hatten ja gerade ihren Lehrer und Meister ermordet.

Und dieser Jesus steht jetzt vor ihnen. Für ihn hat ein neues Leben begonnen. Und er haucht sie an – so wie ganz am Anfang der Bibel Gott einem Lehmklumpen das Leben einhaucht, so haucht Jesus ihnen jetzt das neue Leben ein. "Empfangt den Heiligen Geist." Ein Hauch nur, etwas Zartes, ganz Unauffälliges. Aber sehr wirkungsvoll.

Wir sind ins Leben gehaucht. Das gilt. Und jetzt braucht es eine hohe "Heilig-Geist-Inzidenz". Viele Menschen pro Bevölkerung, die an Jesus Christus glauben und wissen, dass er sie ins Leben gehaucht hat. Hohe Geist-Inzidenz braucht es auch und gerade angesichts einer für viele tödlichen Pandemie. Menschen, die in der Lebenskraft des HEILIGEN Geistes gegen Ungeist und Dummheit vorzugehen wissen. In einem Geist, der hilft, dass sie die Wirklichkeit verstehen  oder es wenigstens versuchen, statt Verschwörungstheorien zu folgen. Es braucht diesen Geist, der zugleich zart ist und mich zuhause besucht, wenn ich eingeschlossen und beschränkt lebe. Einen Geist, den Jesus Christus den "Mutbringer" nennt.

14.05.2020
Benedikt Welter