Ethiker: Corona "immense Herausforderung" für freiheitliche Werte

Ethiker: Corona "immense Herausforderung" für freiheitliche Werte

Düsseldorf (epd). Der Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, Peter Dabrock, sieht die Corona-Krise als "immense Herausforderung" für die Werte der Gesellschaft. Sie beweise jedoch aktuell, wie sehr der Einzelne bereit sei, Freiheiten zum Schutz der Schwächsten radikal aufzugeben, sagte der Sozialethiker der Online-Ausgabe der Düsseldorfer "Rheinischen Post" (Donnerstag). Es gebe zwar "ein ganz klares Plädoyer, die Würde des Einzelnen und sein Leben zu schützen". Andererseits könne die Gesellschaft angesichts der Vielzahl von Betroffenen an die Grenze ihrer Kapazität gelangen.

Mögliche Entscheidungen wie in Italien, wer aufgrund zu weniger Beatmungsgeräte die lebensrettende Behandlung erhalte, stellten "ein absolutes Horrorszenario" dar, erklärte der evangelische Theologe und Professor. Was dann entschieden werden müsste, sei "keine Güterabwägung, sondern verantwortete Schuldminimierung". Im Zweifel würde derjenige vorgezogen, der die besseren Überlebenschancen habe oder für die Versorgung der Bevölkerung unentbehrlich sei. Wer solche schwierigen Entscheidungen treffen müsse, "der kommt da nicht schadenfrei heraus".

Wenn Politiker eingestehen, mit dem Ausmaß der Epidemie nicht gerechnet zu haben, schafft das nach Worten von Dabrock Vertrauen. Das mache zugleich deutlich, dass jetzt alles versucht werde. "Ich finde das besser als Verlautbarungen etwa aus China oder den USA, die behaupten: 'Wir haben alles im Griff.'" So gingen Autokraten und Populisten mit Situationen um, die sie in Wahrheit überforderten. Das sei unter ethischen Gesichtspunkten nicht vertretbar und schon gar nicht vertrauenserweckend.

Als positiven Effekt wertete Dabrock, dass viele Berufe wie Krankenschwestern, Pfleger, Müllmänner oder Busfahrer, die bislang gesellschaftlich nicht die verdiente Anerkennung bekommen hätten, plötzlich als systemrelevant eingestuft würden. Diesen Leuten applaudiere man derzeit durch gemeinschaftliches Klatschen. "Aber ihr Einsatz muss in Zukunft auch besser finanziell honoriert werden", forderte der Ethiker der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Diese Einsicht sollte auch nach der Krise bleiben.