Lager in Libyen: "Es geht ums blanke Überleben"

Lager in Libyen: "Es geht ums blanke Überleben"
16.02.2020
epd
epd-Gespräch: Bettina Rühl

Nairobi, Hannover (epd). Die Menschen in der libyschen Hauptstadt Tripolis leben laut der Psychologin Heike Zander in ständiger Angst. "Niemand weiß, wem er vertrauen kann, wann er raus gehen und wo er hingehen kann", sagte Zander, die für "Ärzte ohne Grenzen" ein halbes Jahr in Libyen gearbeitet hat, dem Evangelischen Pressedienst (epd). Wegen der andauernden Kämpfe wisse, wer morgens das Haus verlasse, nicht, ob er am Abend wohlbehalten heimkehren werde. Alle Bewohner der Stadt seien davon betroffen: Flüchtlinge, Migranten, Gefangene in den Internierungslagern und die Libyer selbst.

In den drei Lagern, in denen Zander im Einsatz war, sei die Lage noch desolater. "Im Grunde geht es für alle ums blanke Überleben: Wie überlebe ich den Tag? Kriege ich genug zu essen? Kommt jemand, der sich meine Wunde anguckt? Kann ich mit einem Arzt sprechen, dem ich mich anvertrauen kann?" Auch wegen der unklaren Zukunft seien die Menschen verzweifelt. Die Lager, in denen die 39-jährige Psychologin im Einsatz war, werden von der international anerkannten "Regierung der Nationalen Einheit" betrieben. Mehr als 47.000 Flüchtlinge stecken in Libyen fest, Tausende davon in Internierungslagern.

Im Juni 2019, kurz vor Beginn von Zanders Einsatz in Libyen, wurde das Lager Tadschura in Tripolis von einer Bombe getroffen. Bei dem Angriff wurden 53 der inhaftierten Flüchtlinge getötet. Anders als die Ersthelfer habe sie zwar keine Toten mehr gesehen, sagt die Psychologin. Dafür habe sie aber erlebt, "wie verzweifelt und unsicher die Überlebenden waren. Und wie sehr sie auf ihre Freilassung drängten", weil sie neue Angriffe fürchteten.

Die psychischen Folgen der Lagerbedingungen wirkten sich unterschiedlich stark auf die Menschen aus. "Wir hatten Wochen und Monate, in denen es so schien, als würde jeder Zweite psychisch zusammenbrechen und eigentlich ins Krankenhaus gehören", erklärt Zander. Diese Flüchtlinge seien zum Teil aggressiv oder unruhig gewesen oder hätten sogar Halluzinationen gehabt. In anderen Phasen hätten sie die Belastung aus Gründen, die bisher unklar seien, besser ertragen. Durch den Einsatz sei ihr noch bewusster geworden, aus welchen Zwangslagen heraus die Menschen versuchten, über das Mittelmeer nach Europa zu kommen, sagt die Psychologin.