Steinmeier: Angriffe auf Kommunalpolitiker Gefahr für Demokratie

Steinmeier: Angriffe auf Kommunalpolitiker Gefahr für Demokratie
Bundespräsident empfängt Bürgermeister zum Gespräch
Der Mord an Walter Lübcke hat politisch Verantwortlichen gezeigt, wie gefährlich sie leben. Vielen macht umso mehr Sorge, wie im Internet gehetzt wird. Bundespräsident Steinmeier sieht darin eine echte Gefahr und traf Kommunalpolitiker zum Austausch.

Berlin (epd). Der eine Bürgermeister erhält Morddrohungen, die Kinder eines anderen werden auf dem Schulhof verprügelt, die andere wird auf offener Straße als "Fotze aus dem Rathaus" betitelt: Kommunalpolitiker, haupt- wie ehrenamtlich - sehen sich immer häufiger Beleidigungen und Drohungen ausgesetzt. 1.200 politisch motivierte Angriffe auf Verantwortliche in den Kommunen habe es 2018 gegeben, sagte der Präsident des Deutschen Städtetags, Burkhard Jung (SPD), unter Bezug auf die Kriminalstatistik am Mittwoch in Berlin. Das sind im Durchschnitt mehr als drei am Tag. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sieht in den Angriffen eine Gefahr für die Demokratie.

Es seien nicht nur Angriffe auf einzelne Personen, sondern Angriffe auf die Wurzeln der Demokratie, sagte Steinmeier. Die Demokratie brauche die Menschen, die sich oft nach Feierabend um die Öffnungszeiten eines Schwimmbads oder den Bau von Straßen kümmerten. Das verdiene Respekt und Anerkennung, sagte das Staatsoberhaupt.

Nach einem ähnlichen Treffen im vergangenen Jahr hatte Steinmeier nun vor dem aktuellen Hintergrund der Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke erneut Kommunalpolitiker und Vertreter kommunaler Spitzenverbände zu einem Gespräch nach Berlin eingeladen. Aus erster Hand habe er deren Erfahrungen hören und ihnen für die Arbeit den Rücken stärken wollen, sagte eine Sprecherin. Auch Journalisten durften diesmal zuhören, was ungewöhnlich ist für die vertraulichen Gespräche im Schloss Bellevue.

Vier haupt- und acht ehrenamtliche Bürgermeister, Städtetagspräsident Jung und der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, Gerd Landsberg, versammelten sich mit Steinmeier und dessen Frau Elke Büdenbender um die Tafel. Es wurde schnell konkret: Viele der Teilnehmer beklagten ein zu wenig konsequentes Vorgehen der Strafverfolgungsbehörden, wenn Drohungen zur Anzeige gebracht werden. "Luschig" sei es, wie manche Staatsanwaltschaften agierten, sagte Jung, der Oberbürgermeister von Leipzig ist.

Er sprach sich für Treffen zwischen Gerichten, Staatsanwaltschaften und der kommunalen Ebene aus, um nach Verbesserungsmöglichkeiten zu suchen. Steinmeier sagte, der Mord an Lübcke sei eine Zäsur und Grund genug für solche Gespräche.

"Das Klima wird rauer und problematischer", sagte Landsberg und warnte vor den Konsequenzen: Es gebe schon so genügend Probleme, Kandidaten für politische Ämter in den Kommunen zu finden.

Der Stuttgarter Oberbürgermeister Fritz Kuhn (Grüne) forderte eine Antwort der Bundespolitik auf die Gefahr durch Rechtsextremisten. Er verwies auf den aktuellen Verfassungsschutzbericht, wonach 12.700 Rechtsextreme in Deutschland als gewaltbereit gelten. Das verursache vor Ort Sorgen, sagte er.

Andere Bürgermeister verwiesen auf Frustrationen durch hohe Straßenbeiträge, das Schließen der Sparkasse, das Fehlen von Polizei. Nicht alle der Teilnehmer wollen zitiert werden. Mit Öffentlichkeit haben sie unterschiedliche Erfahrungen gemacht. So erzählt eine Bürgermeisterin aus dem Süden, Angriffe hätten aufgehört, nachdem sie diese öffentlich machte. Andere fürchten aber, dass Berichte erst zu neuen Drohungen aufstacheln könnten.

Was die am Tisch beim Bundespräsidenten Versammelten besonders stört, ist die "schweigende Mehrheit", wie es eine Kommunalpolitikerin aus dem Osten nannte und dafür zustimmendes Nicken erntete. "Ich wünsche mir, dass die Gesellschaft hinter uns steht, für die wir täglich arbeiten", sagte die Kollegin aus dem Süden.