„Hören“

Gottesdienst
„Hören“
Evangelischer Rundfunkgottesdienst aus der St. Nikolaikirche in Stralsund
18.06.2017 - 10:05
Über die Sendung

Gute Worte, Gottes Worte können ein Wohlklang für die Seele sein wie Musik. Zu hören sind im Gottesdienst aus Stralsund Bibeltexte, Gebete, eine Meditation und Musik zum Thema „Hören“. Der Kammerchor singt unter der Leitung von Kirchenmusikdirektor Matthias Pech: „Allein auf Gottes Wort will ich mein Grund und Glauben bauen“ und „Höre Israel“. Pastor Dietmar Manke predigt über das „Höre Israel“, das im 5. Mosebuch steht: „Höre, Israel, der HERR ist unser Gott, der HERR allein. Und du sollst den HERRN, deinen Gott, liebhaben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit all deiner Kraft.“

 

Dietmar Mahnke sagt: „Mitten in die Verunsicherung hinein hatte damals Mose diese Worte seinem Volk in die Ohren gelegt: „Höre!“ Es ist der Weg, von Ägypten hin in das versprochene Land, weg aus der Unfreiheit  in die Freiheit. Es ist der Weg, der noch so viele Fragen offen lässt und auf dem Vertrauen notwendig ist. In das Herz und die Seele, in das Denken und Handeln sollen diese Worte ihren Weg finden.“ Und damit sind nicht nur die Israeliten damals gemeint, sondern auch die Gottesdienstgemeinde mitten in Stralsund und die Radiohörer.

 

Die Nikolaikirche ist ein Hauptwerk der Backsteingotik und eines der bedeutendsten Beispiele für eine große hanseatische Pfarrkirche. St. Nikolai ist die älteste Kirche Stralsunds mit einer wunderbaren frühromantische Orgel des Berliner Orgelbauers C.A. Buchholz. Diese wurde von 2003 -2006 komplett auf den Originalzustand mit mechanischer Traktur zurückgeführt und restauriert.

Predigt zum Nachlesen

Liebe Gemeinde hier in St. Nikolai, liebe Hörerinnen und Hörer am Radio!

 

Das Hören ist ein Wunder!!!

Mit dem Hören fängt es an! Nach allem, was wir wissen, ist es so: das Hören ist die Sinneswahrnehmung, die beim Menschen als erstes ausgebildet wird und als letztes erlischt. Schon mit vier Monaten, kann ein ungeborenes Kind hören – den Herzschlag der Mutter, ihre Stimme, ihr Singen,...

 

Und dann: Wir lernen das Sprechen, wir lernen uns erkennen, wir entwickeln uns, wenn wir angesprochen werden und dazu müssen wir hören. Im „Angesprochen-Werden“ erkenne ich mich und das Gegenüber, erfahre ich das „Ich“ und das „Du“.

 

„Hör zu!“

„Hör mir mal zu!“

„Kannst du mit jetzt mal bitte zuhören!“

Liebevoll, mit Nachdruck, oder gar aggressiv fordernd gesagt, sollen mich diese Aufforderungen in eine Aufmerksamkeit für das rufen, was der andere mir mitteilen möchte.

 

Höre! Hör zu!

So beginnt auch der Predigttext für diesen Sonntag, den wir im 4. Buch Mose im 6. Kapitel finden:

 

„Höre, Israel, der HERR ist unser Gott, der HERR allein. Und du sollst den HERRN, deinen Gott, liebhaben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit all deiner Kraft. Und diese Worte, die ich dir heute gebiete, sollst du zu Herzen nehmen und sollst sie deinen Kindern einschärfen und davon reden, wenn du in deinem Hause sitzt oder unterwegs bist, wenn du dich niederlegst oder aufstehst. Und du sollst sie binden zum Zeichen auf deine Hand, und sie sollen dir ein Merkzeichen zwischen deinen Augen sein, und du sollst sie schreiben auf die Pfosten deines Hauses und an die Tore.“

 

Ich sitze mit anderen aus unserer Gemeinde im Flugzeug nach Israel. Aber noch bevor wir israelischen Boden betreten, begegnen wir der anderen Kultur und dem jüdischen Glauben ganz unmittelbar. Da steht einer während des Fluges auf, bindet sich die Tefillin – kleine lederne Kästen, die Worte aus der Thora enthalten – vor die Stirn und um den Arm, legt seinen Gebetsschal um und versinkt im Lesen und Gebet – ganz selbstverständlich. Es ist Ausdruck seines Glaubens und er lebt ihn. In Israel angekommen, finden wir auf unserer Reise überall an den Türpfosten der Häuser ein kleines Kästchen mit diesem zentralen Glaubensbekenntnis unserer jüdischen Schwestern und Brüder – in den Wohnhäusern, den Hotels, dem Krankenhaus...

 

Es soll die Menschen erinnern und dabei leiten, wie sie denken und handeln – Zuhause, im Alltag und im Feiern, bei der Arbeit, in allen Lebenslagen, bei allem, was sie entscheiden... Es gibt keine „gottfreien“ Bereiche. Die lebendige Beziehung zu Gott soll der Leitfaden des Lebens sein.

 

Auf dem Weg aus der Unfreiheit in Ägypten in das versprochene Land, in das neue Leben hinein hatte Mose damals seinem Volk diese Worte in die Ohren und ins Herz gelegt. Sie waren damals voller Verunsicherung, wie die Zukunft werden würde. So vieles war noch offen, so viele Fragen und auch Zweifel waren da, Zweifel auch an Gott. Der Weg ist mühsam und manchmal verlieren sie das Ziel aus den Augen, weil es noch nicht erkennbar, noch nicht greifbar ist. Und so manches mal wird der Ruf nach den vermeintlich „guten alten Zeiten“ laut. Immer wieder müssen sie Vertrauen lernen und sich einüben in den Glauben an diesen einen, einzigen Gott.

 

„Höre!“

 

Dieses alte Bekenntnis des Volkes Israel fragt mich nach meinem Glauben und letztlich nach dem Kern meines Lebens:

Wem vertraue ich? Woran kann ich mich orientieren? Aus welcher Kraft und Hoffnung kann ich leben – Tag für Tag? Was ist der innere Leitfaden meines Lebens?

Diese Fragen begleiten mich ein Leben lang. Und die Antworten, die ich finde, bestimmen mein Leben. Sie bestimmen, wie ich denke, rede und handle – in meinem ganz persönlichen Leben, in meiner kleinen Lebenswelt und wenn ich darüber hinausschaue.

Im Kern all dieser Fragen steht: Glaubst du an Gott? Oder besser: vertraust du Gott? Vertraust du, dass er deinem Leben eine Orientierung geben kann? Dass er in dir und durch dich deine kleine und diese große Welt gestalten kann – und zwar in ALLEN Bereichen des Lebens?

Höre und gib dir eine ehrliche Antwort! 

 

Fertigprodukte haben Hochkonjunktur und Rattenfänger ködern Menschen mit einfachen, schnellen Antworten. Da scheint manchem der Glaube an diesen Gott zu lebensfern – ein Gott, der Menschen die Freiheit zum eigenen Denken und Handeln lässt, wie mühsam. Da scheint es verlockender, wenn mir einer sagt, was richtig ist und was ich tun soll.

Aber der Glaube an Gott ist kein Fertigprodukt – mit fertigen Antworten auf alle Lebensfragen – immer und zu jeder Zeit. Wir sind herausgefordert, diesen Glauben immer wieder neu in unser Leben, in den Alltag, alle Bereiche des Lebens hinein zu buchstabieren. Das fängt bei mir an und geht bis in die in die große Weltpolitik. Das ist nicht immer leicht! Diese Welt ist kompliziert geworden. Da sind viele Stimme, die auf mich eindringen und sagen: Höre!

 

Wie kann ich Gott in dem Konzert der vielen Stimmen wahrnehmen ? Ich muss mich auseinandersetzen mit dem Wort der Bibel, ich brauche das Gespräch, ich brauche das Gebet, das Schweigen und die Stille. Vielleicht ist das in allem die größte Herausforderung: inne zu halten und im Schweigen und in der Stille auf das zu lauschen, was Gott in mich hineinlegt. Antworten werden uns auf dem Weg geschenkt.

 

Höre!

 

Jesus hat, als er nach dem wichtigsten Leitfaden des Lebens gefragt wurde, dieses alte Bekenntnis aufgegriffen und ergänzt:

 

„Höre! Der HERR ist unser Gott, der HERR allein. Und du sollst den HERRN, deinen Gott, liebhaben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit all deiner Kraft.“

Und deinen Nächsten, wie dich selbst!

 

Spüre ich, wie kraftvoll und aktuell diese Worte sind ? Ahne ich, was sie für meine Familie, für das Zusammenleben in meinem Ort, für den Umgang mit den Fremden und für diese Gesellschaft bedeuten? Verändern Sie, wie ich denke, rede und handle?

 

Höre!

 

Auf diesem Weg brauchen ich Merkpfosten – Merkzeichen, die mich Gott und die Menschen nicht vergessen lassen. Sie öffnen mir einen Raum, den ich immer wieder neu betreten kann und in dem ich Gott und dem Nächsten begegne.

 

In der jüdischen Tradition gibt es viele solcher Merkzeichen, Rituale und Wiederholungen.

Wir haben sie auch in unserem Glauben und sie sind ein kostbarer Schatz!

Manche Menschen lesen am Morgen die Tageslosungen und spüren, wie sie ganz unmittelbar zu ihnen sprechen. Für andere ist das Gebet am Morgen oder Abend so ein wichtiges Merkzeichen. Die Bibel auf dem Nachtisch, unsere Kirchtürme, die in den Himmel ragen, unsere Gottesdienste und Feste im Kirchenjahr, der Taufspruch an der Wand,... all das und noch viel mehr können uns Merkzeichen sein.

Finde deine Rituale, die dich in deinem Leben und in deinem Tageslauf an Gott erinnern und in denen du ihm begegnest – wie kleine Merkzettel – die den Glauben lebendig halten.

Tauche immer wieder ein in den Glauben.

Glaube beginnt nicht dann, wenn du alles verstanden hast, sondern, wenn du dich auf den Weg machst.

 

„Und diese Worte sollst du zu Herzen nehmen und sollst sie deinen Kindern einschärfen und davon reden, wenn du in deinem Hause sitzt oder unterwegs bist, wenn du dich niederlegst, oder aufstehst...“

 

Wir reden ständig über das Wetter, das Essen, die Politik, den Urlaub, …

Und über das, was uns im Innersten hält und über unseren Glauben ... kaum bis gar nicht! Das ist Privatsache – nur für den eigenen inneren Hausgebrauch!?

 

In diesem Land wurde bei so vielen die Glaubenstradition abgeschnitten. Wie dringend braucht es Menschen, die offen und frei von ihrem Glauben erzählen. Es gibt eine große Sehnsucht nach ehrlichen und authentischen Antworten und die müssen nicht fertig und endgültig sein.

Das kann überall passieren: mit dem Arbeitskollegen bei der Bahnfahrt, im Straßen-Café mit Freunden, im Urlaub mit den Enkeln, auf dem Heimweg nach dem Gottesdienst,... hier in Stralsund, in Berlin.. oder wo immer Sie uns jetzt zuhören. Sei einfach offen dafür und du wirst spüren, wenn der Moment gekommen ist, von deinem Glauben zu erzählen.

Welche wunderbaren Erfahrungen mache ich, wenn Menschen sich öffnen und mich an dem teilhaben lassen – an ihren Antworten und Fragen, an ihren Zweifeln und an ihrem Glauben.

 

 

Höre!

 

Wir sind es anderen schuldig, sie an unserem Glauben teilhaben zu lassen! Allen voran unseren Kindern!

Vieles ist uns wichtig, was wir unseren Kindern mit auf den Weg geben wollen! Was geben wir ihnen mit über unseren Glauben?

Ihr lieben Eltern und Paten, was ist mit eurem Versprechen bei der Taufe des Kindes, ihm auch auf dem Weg zum Glauben zu helfen und zu begleiten? Vergessen?

Wie sollen sich Kinder entscheiden, wenn sie nichts von diesem Glauben erfahren?

 

Ist die Angst vor Überfremdung in unserem Land so groß, weil sich so viele Menschen ihres eigenen Glaubens und ihrer eigenen Wurzeln gar nicht bewusst sind?

 

Wie viele Worte legen wir in Menschen hinein! Sind auch Worte des Glaubens dabei? Höre!

 

Vor einiger Zeit sah ich sie – die Worte oben an einer Hauswand – fünfter Stock: „Ich liebe dich!“ Das Merkzeichen eines Menschen für einen anderen. Was er wohl gewagt hatte, um das da hin zu sprühen und seine Liebe zu bekunden??

 

Was dieser Gott gewagt hat, um uns Menschen das begreiflich zu machen: Ich liebe Dich! Ich möchte, dass dein Leben gelingt! Vertraue mir in den kleinen und großen Herausforderungen des Lebens.

Ganz nahe ist er uns gekommen, ganz menschlich ist er geworden geworden in Jesus. Der hat gelebt, was diese Worte sagen:

 

Du sollt Gott lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, mit all deiner Kraft.

Und deinen Nächsten, wie dich selbst!

 

Das ist der Leitfaden zum gelingenden Leben! Höre!