Pro und Kontra: Tanzverbot an Karfreitag - Zwei Gastbeiträge

Pro und Kontra: Tanzverbot an Karfreitag - Zwei Gastbeiträge
Am Karfreitag sind vielerorts öffentliche Tanz- und Sportveranstaltungen verboten. Ist das noch zeitgemäß? Beiträge von Traugott Schächtele, Prälat für Nordbaden, und Michele Marsching, Vorsitzender der Piraten-Fraktion im Landtag NRW.

Frankfurt a.M. (epd) PRO - Gastbeitrag von Prof. Dr. Traugott Schächtele, Prälat für den Kirchenkreis Nordbaden:

Um ein mögliches Missverständnis gleich vorweg zu nehmen: Beim Tanzverbot am Karfreitag geht es nicht darum, in rückwärts gewandter Absicht die Freude am Tanzen zu diskreditieren. Vermutlich wird aufs Ganze gesehen nirgendwo mehr getanzt als im Rahmen religiöser Rituale.

Das Tanzverbot am Karfreitag will dessen besondere Eigenart vielmehr gerade dadurch schützen, dass an diesem einen Tag nicht sein soll, was die Normalität anderer Tage ausmacht. So verstanden verweist das Tanzverbot darauf, dass die Balance von Ausgelassenheit und Innehalten zu den Grundvoraussetzungen gelingenden Lebens gehört. Zugleich hält der Karfreitag die Einsicht wach, dass eine Gesellschaft ihre - auch religiöse - Geschichte hat und von ihren Geschichten - in diesem Fall der Geschichte der Bedeutung des Sterbens Jesu - lebt. Sie hat Unterbrechungen nötig, die ihr in Erinnerung rufen, dass ihr Zusammenhalt nicht allein auf dem erfolgreichen "flow" der ökonomischen Gesetzmäßigkeiten gegründet sein kann.

Im Letzten ist das Tanzverbot am Karfreitag durch die bekannte verfassungsrechtliche These gedeckt, dass eine Gesellschaft von Voraussetzungen lebt, die sie selber nicht garantieren kann. Es ist unbestritten, dass solche Regelungen nicht vom Himmel fallen, sondern das Produkt historischer Entwicklungen sind. Insofern ist der Karfreitag nicht durch göttliches, sondern durch menschliches Recht geschützt.

Ich sehe derzeit keinen anderen Tag, der eine ähnliche Symbolkraft für die Wahrung des religiösen und kulturellen Gedächtnisses entwickeln könnte. Gerade weil Weihnachten und Ostern schon in die Hände der Einzelhändler und Urlaubsanbieter gefallen sind, bin ich über den in dieser Hinsicht sperrigen, weil nicht vermarktbaren Karfreitag froh. Womöglich bliebe bei der Aufhebung des Tanzverbots Zentraleres auf der Strecke als dieses kleine Zeitfenster eingeschränkten Tanzvergnügens.

KONTRA - Gastbeitrag von Michele Marsching, Vorsitzender der Piraten-Fraktion im Landtag Nordrhein-Westfalen

Die Piraten betrachten Glauben und Religion als Privatangelegenheit und nicht als Staatsaufgabe. Nicht nur deshalb sind in einer pluralistischen Gesellschaft in einem säkularen Staat staatliche Tanzverbote auch nicht mehr zeitgemäß.

In einem toleranten und durch die Kirchen zwar geprägten, jedoch nicht mehr gelenkten Staat ist diese Art des Schutzes einer speziellen Glaubensgruppierung überholt. Entweder der Staat schickt sich an, alle relevant vertretenen Religionsgemeinschaften in ihrem Glauben und ihrem Wunsch nach der ungestörten Ausübung ihrer Gedenkfeiern zu schützen. Oder - und das sollte in einer liberalen Gesellschaft in gegenseitiger Rücksichtnahme selbstverständlich sein - der Staat mischt sich nicht in Angelegenheiten des Glaubens ein und schreitet nur dann ein, wenn tatsächlich ein schützenswertes Gut verletzt und zum Beispiel ein Gottesdienst gestört wird.

Was ein selbstbestimmter Bürger in seinem privaten Umfeld macht, ob Disko- oder Gottesdienstbesuch, sollte jedem Einzelnen selbst überlassen sein. Staatliche Bevormundung aller Bürger ist nicht unser Ideal für das 21. Jahrhundert.

Das Feiertagsgesetz Nordrhein-Westfalen hat dazu sogar eine passende Regelung parat: So verbietet es in § 5 Veranstaltungen nur dann, wenn durch sie "der Gottesdienst unmittelbar gestört wird". Diese Einsicht stünde einem liberalen Staat gut zu Gesicht!