Tugce Albayrak bleibt unvergessen

epd-bild / Thomas Lohnes
Schon zu Prozessbeginn im April 2015 gab es viel Anteilnahme für Tugce Albayrak.
Tugce Albayrak bleibt unvergessen
Ein Jahr nach dem Verbrechen
wollen Initiativen Zivilcourage fördern
Eine hübsche, junge Frau wird von einem Belästiger totgeschlagen. Zunächst war das Verbrechen gegen Tugce Albayrak ein vorübergehendes Medienereignis - aber Menschen gedenken ihr weiterhin. Auch eine Stiftung soll an das Opfer erinnern.
13.11.2015
epd
Jens Bayer-Gimm (epd)

Frankfurt a.M., Offenbach (epd)Am 15. November 2014 um vier Uhr morgens schlug Sanel M. die Studentin Tugce Albayrak zu Boden. Besinnungslos stürzte die 22-Jährige auf den Asphalt vor einem Offenbacher Schnellrestaurant und fiel mit blutendem Kopf ins Koma. Als bekannt wurde, dass die aus dem hessischen Bad Soden-Salmünster stammende Tugce zuvor zwei Mädchen vor dem 18-Jährigen beschützt haben soll, wurde sie rasch zur Ikone der Zivilcourage stilisiert.

Teilnahmsvoll und hasserfüllt

Tausende nahmen vor dem Krankenhaus Abschied, als die Familie am 28. November zu Tugces 23. Geburtstag die lebenserhaltenden Maschinen abstellen ließ. "Heute sind wir alle Tugce", stand auf einem der Plakate. Zu Lebzeiten hatte Tugce bestimmt, dass ihre Organe gespendet werden sollen. Bundespräsident Joachim Gauck schrieb einen Beileidsbrief an die Familie. Mehr als 300.000 Menschen unterzeichneten eine Online-Petition, Tugce das Bundesverdienstkreuz zu verleihen.

Der Fall produzierte zahlreiche Schlagzeilen, eine Woge von Kommentaren schwappte in den Internet-Netzwerken auf, teilnahmsvolle und auch hasserfüllte. Die Zuschreibungen an Opfer und Täter und die daraus erwachsenen Erwartungen belasteten den im Frühjahr folgenden Strafprozess. Oberstaatsanwalt Alexander Homm sprach in seinem Schlussplädoyer im Landgericht Darmstadt von einer "Wucht" des öffentlichen Interesses und kritisierte das gezeichnete Schwarz-Weiß-Bild vom bösen Täter und edlen Opfer der eigenen Zivilcourage.

"Tugce-Stiftung"

Die Anhörung der rund 60 Zeugen und Sachverständigen im Gericht brachte Zwischentöne hervor, ohne aber die gegensätzliche Beurteilung der Protagonisten aufzulösen. Eine Gruppe junger Männer beleidigte und provozierte demnach eine Gruppe junger Frauen. Einige von denen ließen sich das nicht gefallen und warfen Schimpfwörter zurück. Die Auseinandersetzung schaukelte sich hoch bis zu dem verhängnisvollen Schlag. Homm wandte sich gegen die Klischees: "Das Gericht hat nicht den Sockel des Opfers zerstört - es hat sich selbst nicht darauf gestellt. Das einseitige Bild vom wilden Schläger lässt sich nicht aufrechterhalten, aber das macht die Tat nicht besser."

Das Gericht verurteilte den Angeklagten im vergangenen Juni wegen Körperverletzung mit Todesfolge zu einer Jugendstrafe von drei Jahren Haft. Gegen das Urteil haben die Strafverteidiger einen Revisionsantrag vor dem Bundesgerichtshof eingereicht. Eine Stellungnahme der Bundesanwaltschaft gibt es nach ihrer Auskunft noch nicht.

Dagegen haben die Angehörigen von Tugce Albayrak die Prozessakten abgeheftet, nicht aber das Andenken an die Getötete. Sie gründeten mit Freunden den Verein "Tugce Albayrak", der die Errichtung einer gemeinnützigen "Tugce-Stiftung" vorbereitet. Sie solle die Vorbeugung vor Verbrechen, die Hilfe für Opfer, die Werbung für Organspenden und die Zivilcourage fördern, sagte das Vorstandsmitglied des Vereins, Murat Capri, dem Evangelischen Pressedienst (epd). Am 27. November veranstaltet der Verein eine Benefizgala in Kelsterbach bei Frankfurt, um Geld zu sammeln. Angepeilt sei ein Grundkapital der Stiftung in Höhe von 50.000 Euro.

"Letzter Unterricht"

Einen dauerhaften Gedenkort gibt es inzwischen in Gießen. Dort hat die Universität ihrer früheren Studentin am Campus Philosophikum einen Gedenkstein errichtet. "Tugce hat sich für Mitmenschen eingesetzt in einer Situation, in der wohl viele von uns weggeschaut hätten", sagte Universitätspräsident Joybrato Mukherjee bei der Feierstunde im September. Auf der Steinstele befindet sich eine Glasplatte mit der Aufschrift: "Tugces Traum war es, Lehrerin zu werden. Mit ihrer Zivilcourage hat sie der Welt ihren ersten und letzten Unterricht erteilt."

In Erinnerung an diesen "Unterricht" werden sich Menschen am ersten Todestag, dem 15. November, um 17 Uhr am Tatort zu einer Mahnwache versammeln. Rund 750 Teilnehmer haben sich bisher nach den Worten von Murat Capri auf Facebook dazu angemeldet.