Mit 63 in Rente - "Man muss durchrechnen, ob das reicht"

Mit 63 in Rente - "Man muss durchrechnen, ob das reicht"
"Versorgt genug. Den Mangel nicht fürchten" – so lautet das zweite Wochenmotto der evangelischen Fastenaktion "7 Wochen ohne falschen Ehrgeiz". Evangelisch.de fragt nach der Versorgung der Menschen im Alter: Das festgelegte Renteneintrittsalter lehrt manche Arbeitnehmer doch "den Mangel fürchten".
24.02.2012
Von Anne Kampf

25 Darum sage ich euch: Sorgt nicht um euer Leben, was ihr essen und trinken werdet; auch nicht um euren Leib, was ihr anziehen werdet. Ist nicht das Leben mehr als die Nahrung und der Leib mehr als die Kleidung?
26 Seht die Vögel unter dem Himmel an: sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen; und euer himmlischer Vater ernährt sie doch. Seid ihr denn nicht viel mehr als sie? 27 Wer ist unter euch, der seines Lebens Länge eine Spanne zusetzen könnte, wie sehr er sich auch darum sorgt?
Matthäusevangelium, Kapitel 6.

[listbox:title=Mehr im Netz[Die Fastenaktion "7 Wochen ohne..."##Publikation des Statistischen Bundesamtes: Ältere Menschen in der EU##Informationen der Deutschen Rentenversicherung zur Rente mit 67##Argumente des Deutschen Gewerkschaftsbundes gegen die Rente mit 67]]

Nicht für morgen sorgen. Das ist leichter gesagt als getan für diejenigen, die sich am Abend vor dem Morgen befinden, und die Nacht dazwischen fürchten: die Zeitspanne zwischen Erwerbsleben und Rente. Drei Menschen zwischen 59 und 61, die bis zur vollen Rente noch drei bis sechs Jahre arbeiten müssten, das aber nicht mehr schaffen werden. Die "Rente mit 67" gilt für diese drei noch nicht – und wäre auch unvorstellbar.

Zenel Sadiku, Kranführer und –ausbilder: "Noch drei Tage unterm Baum sitzen"

"Ein normaler Mensch hält das hier nicht aus", sagt Zenel Sadiku (Foto links: Deutsche Edelstahlwerke). Er ist 62 Jahre alt und arbeitet seit fast 40 Jahren bei den Deutschen Edelstahlwerken in Siegen-Geisweid. Dort wird Stahl gegossen, die Arbeit ist schwer, der glühende Stahl heiß. Auch wenn im Vergleich zu 1973, als Sadiku hier anfing, vieles modernisiert wurde: "Die Schwerstarbeit existiert immer noch. Die muss man mit Manneskraft bewältigen, sonst geht es nicht weiter." 

Immerhin ist er weitergekommen in der Firma, bildet Kollegen in Kranführung aus und nimmt Prüfungen ab. Dennoch: "Wenn du morgens aufstehst, merkst du die Arbeit in den Knochen" – Gelenkverschleiß. Dazu der Schichtdienst. Zadiku litt unter dem fehlenden Schlafrhythmus, hat Bluthochdruck. Seit vier Jahren macht er nur noch Frühdienst, "der Körper stellt sich etwas besser darauf ein", meint er. Außerdem tut Sport ihm gut: Die Firma zahlt die Hälfte fürs Fitness-Studio.

Mit 63, im Februar 2013, will Zadiku aufhören zu arbeiten, nimmt Altersteilzeit in Anspruch - "zähneknirschend." Denn durch das frühere Ausscheiden gehen ihm 7,2 Prozent des Lohns flöten, das sind 130 bis 150 Euro. Zenel Sadiku nimmt es in Kauf. "Jeder Mensch möchte mindestens noch drei Tage im Schatten unterm Baum sitzen. Darum geht es." Arbeiten bis 67? Das ginge für Stahlwerks-Beschäftigte gar nicht, meint der Kranführer. "80 Prozent würden das nicht überleben, davon bin ich überzeugt. Höchstens als Pflegefall."

Martina Fink, Krankenschwester: "Man muss den Beruf lieben"

Sie müsste regulär bis 2018 arbeiten, aber "das glaube ich nicht, das kann ich nicht", sagt Martina Fink entschieden (Foto links: privat). Sie hat Krankenschwester gelernt und ist seit 40 Jahren im Beruf, seit 27 Jahren in der Altenpflege in Hofheim im Taunus. Mit 63 kann sie frühestens in Rente gehen, wenn auch mit Abschlägen. "Man muss durchrechnen, ob das reicht… Wir brauchen kein Auto." Martina Fink ist es gewohnt, keine großen Ansprüche zu stellen. "Ich mache mir keine Sorgen", sagt sie. 

Schon als die Tochter mit dem Studium fertig war, hat Martina Fink ihre Arbeit auf 75 Prozent reduziert, "weil es mir körperlich zu schwer wurde." Die Tätigkeit im Altenheim sei anstrengender geworden. "Wenn die Leute heute ins Heim kommen, sind sie älter und kränker. Auch die Verweildauer im Krankenhaus ist verkürzt worden, das heißt wir bekommen die Leute nicht fit zurück." Dazu die Dokumentationsarbeit, die habe sich verfünffacht. "Man muss immer genau überlegen: Was darf ich und was nicht? Das ist wie ein Bremsklotz."

Manchmal wundert sie sich darüber, wie jüngere Kolleginnen zehn Tage am Stück in Vollzeit arbeiten und dann auch noch ihre eigenen Kinder versorgen. "Wenn ich nach Hause komm bin ich froh dass ich mich um nichts mehr kümmern muss." Es ist einfach ein anstrengender Job. Bis 67 im Altenheim arbeiten? "Das geht auf gar keinen Fall", meint Martina Fink. Und trotz allem arbeitet sie gern, "Man muss den Beruf lieben. Es muss eine Berufung sein, sonst wird man krank dabei."

Albrecht Schäfer, Fliesenleger: "Das geht auf die Knochen"

"Da könnt ich ausrasten, wenn ich das höre!" - Albrecht Schäfer aus Bielefeld zum Thema "Rente mit 67" (Foto links: Matthias Kirchner/IG BAU) . Der 63jährige ist Bundesfachgruppenvorsitzender der Fliesenleger der IG BAU. "Die sich das ausdenken, sollen mal im Winter ein Jahr lang auf'n Bau gehen", schlägt er vor. In seiner Firma, so erzählt er, hören 90 Prozent der Mitarbeiter vor dem 65. Lebensjahr auf zu arbeiten, teilweise schon mit 63, "sie verzichten entweder auf Rente oder werden krank." 

Viele seiner Kollegen haben Probleme, mit den Bandscheiben, mit den Armen, den Knien. Doch nur teilweise werden die Gelenkbeschwerden als Berufskrankheit anerkannt. "Wir haben zu 80 Prozent kniende Arbeit, denn das meiste sind Fußböden", so beschreibt Schäfer den Alltag der Fliesenleger. Außerdem müssen sie viel schleppen, obwohl das eigentlich nicht zum Job gehört. "Heute werden Boden- und Wandfliesen immer größer, also auch schwerer, bis zu 40 Kilo…". Damit in einem Altbau ohne Fahrstuhl drei, vier hohe Geschosse hinauf … das geht auf die Knochen. Die Fliesenleger bei der IG BAU kämpfen dafür, dass die Pakete kleiner werden.

[listbox:title=Ältere in Arbeit[Immer mehr Ältere in Deutschland arbeiten bis kurz vor Erreichen des Renteneintrittsalters. Von den 60- bis 64-Jährigen waren dies 2010 noch 40,8 Prozent - zehn Jahre zuvor erst 19,9 Prozent. Dies geht aus einem Bericht des Bundesarbeitsministeriums hervor.## In der Erwerbstätigenquote von 40,8 Prozent sind allerdings auch rund 800.000 Mini-Jobber enthalten - mit steigender Tendenz.##Die von der großen Koalition 2006 beschlossene Rente mit 67 wird stufenweise eingeführt und soll ab 2029 für alle ausscheidenden Arbeitnehmern verbindlich werden.(dpa)]]

Schäfer selbst ist gerade dabei, seine eigene gesundheitliche Situation zu klären, auch im Hinblick auf die Rente. Das Herz pumpt nicht mehr so gut, die linke Schulter und die Füße machen Probleme. "Der medizinische Dienst sagt, ich darf in dem Beruf nicht mehr arbeiten. Die Krankenkasse sagt, ich könnte als Pförtner oder Nachtwächter arbeiten. Aber wer nimmt denn einen 62jährigen mit Herzproblemen als Nachtwächter?"

Er macht nun eine Reha, geht dann in die Arbeitslosigkeit und mit 63 in Rente - ohne Abschläge, weil er als "schwerbehindert" eingestuft wurde. Die finanzielle Situation älterer Handwerker auf dem Bau ist in hohem Maß von der Bewertung durch Mediziner abhängig. Albrecht Schäfer hat - so gesehen - Glück gehabt. Finanziell wird es wohl unterm Strich reichen: Seine Frau werde weiter jobben, dazu sein Arbeitslosengeld beziehungsweise später seine Rente, plus Mieteinnahmen aus zwei Wohnungen. "Woll'n wir mal gucken", sagt der Fliesenleger.


Anne Kampf ist Redakteurin bei evangelisch.de und zuständig für die Ressorts Politik und Gesellschaft.