Demut - "Ich versuche nicht mehr, mich selber zu täuschen"

Demut - "Ich versuche nicht mehr, mich selber zu täuschen"
Demut kann man lernen. Und so wird auch der Perfektionist gepackt, der mit Burn-out beim Therapeuten sitzt und gar nicht versteht, dass er, der immer alles geschafft hat, auf die Nase gefallen ist: Demut kann man lernen, und sie kann zu einer aufrechten Haltung führen.
31.01.2012
Von Kirchenrätin Petra Harring

Vor allem morgens wundert er sich immer noch, wie es soweit kommen konnte. Er ist in einer
psychosomatischen Klinik gelandet. Noch nie hatte er so etwas von innen gesehen, nie gedacht, dass er dass einmal nötig haben würde. Bisher war seine Lebensplanung doch aufgegangen: die Büros wurden mit jeder Beförderung größer, seine Titel länger und vor allem, das Gehalt wurde mehr. Wann und wie hatte dann alles angefangen mit diesem burn out, dieser abgrundtiefen Erschöpfung, die sich keiner erklären konnte?

Jetzt in der Klinik sitzt er vor dem Arzt und der sagt: in dieser ersten Stunde möchte ich Sie kennenlernen. Wie habe ich mir ihre Arbeit vorzustellen? Er erzählt, man hört heraus: er ist stolz auf das, was er sich alles erarbeitet hat. Er ist die Zugkraft in seiner Abteilung, der Leistungsträger. "Niemand macht diese Arbeit so gut wie Sie?", fragt der Arzt. "Ja, auch wenn sich das angeberisch anhört. Aber ich bin einfach Perfektionist." "Dann haben Sie auch ein hohes Demutspotential."

Brave Frau, braver Untertan, braves Kind

Dieser Satz sitzt, er wird ihn noch über Monate begleiten, er nagt an ihm: hohes Potential zur Demut, viele Möglichkeiten, Demut zu lernen. Statt innerlich auf dem "Richter-Gnadenlos-Stuhl" über alle anderen zu sitzen, selbst Demut lernen. Es sind Geschichten wie diese, die allein das Wort "Demut" wieder salonfähig gemacht haben. Lange war Demütigsein verpönt; zu viele konnten sich noch zu gut erinnern, dass es ihnen eingeprügelt wurde. Demut war ein Wort aus Kaiserzeiten und dem 3. Reich als jeder ein braves Kind, brave Frau, braver Untertan sein musste – da wurde so lange geprügelt, bis der eigene Willen gebrochen war nach dem Motto: früh krümmt sich, was ein rechter Haken werden will.

Nein, diese Art von Demut will keiner mehr. Vielleicht können erst wir Jüngeren wieder etwas damit anfangen. Auf Demut liegt eine Verheißung für mein Leben, ja Gott beschenkt die Demütigen mit etwas Wunderbarem, mit Gnade ( 1.Petr. 5,5,). Nicht Untertan, keine gekrümmte Haltung, sondern aufrecht und beschenkt im Leben stehen und wissen, wo ich hingehöre. Was für eine schöne Vision vom Leben, von meinem Leben.

Wenn Psychologen heute das Wort Demut gebrauchen, dann sagen sie, es ist ein Gegenentwurf zu einem Menschentypus, dem wir lange hinterhergelaufen sind. Alle wollten wir uns immer durchsetzen, unser Leben managen und im Griff haben, keine Probleme und Krisen kennen. Wenn doch alles möglich ist, dann muss ich in meinem Leben alles möglich machen, ich muss mich selbst verwirklichen, ich muss mein Leben fest in der Hand haben. Wenn ich das alles perfekt mache, dann habe ich alles richtig gemacht im Leben.

Grenzenlosigkeit macht irgendwann hilflos

Es ist unglaublich: kaum waren wir davon befreit uns vor Kaisern oder Führern zu krümmen, haben wir uns nur noch mehr niederdrücken lassen von den eigenen Idealen: ich bin perfekt, ich habe mein Leben im Griff, ich kann alles erreichen, wenn ich nur will. Diese Grenzenlosigkeit macht irgendwann hilflos und überfordert; Wer das ändern will, braucht erst einmal den Mut, der oft aus einer Krise kommt, aus der Erkenntnis, so wie ich bisher gelebt habe, so kann es nicht mehr weitergehen, ich bin ja dabei mich selbst kaputtzumachen.

Der Weg ist oft lang, bis man sagen kann: ich nehme mich selbst so an, wie ich bin und versuche nicht länger mir einzureden, ich könnte ja auch ganz anders sein, noch perfekter – ich versuche nicht mehr, mich selber zu täuschen. Ich vertraue darauf, mein Leben wird einen Sinn haben, auch wenn ich nicht das Letzte aus mir herauspresse, um etwas aus mir zu machen. In diesen neuen Tag mit Demut gehen heißt für mich: das Wesentliche habe ich immer noch von Gott geschenkt bekommen: mein Leben und alles, was mir wirklich zu Herzen geht und manchmal – in ganz kostbaren Momenten bin ich ganz frei von mir selbst. Und dann kann ich sogar über mich lachen.


Petra C. Harring, (Jahrgang 1965), evangelische Pfarrerin und Journalistin, ist seit Januar 2003 die Beauftragte der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern für Hörfunk und Fernsehen beim Bayerischen Rundfunk. Sie ist verheiratet und lebt in München.