Afghanistan: Der lange Abschied vom Hindukusch

Afghanistan: Der lange Abschied vom Hindukusch
Der Abzug internationaler Truppen aus Afghanistan ist beschlossen. Doch eine rasche Befriedung des Landes zeichnet sich nicht ab. Zwar markiert der Tod des Al-Kaida-Chefs Bin Laden einen symbolischen Sieg des Westens. Doch 2011 ließen mehr als 500 ausländische Soldaten ihr Leben am Hindukusch. Und Experten sind pessimistische, dass Präsident Karsai und seine Truppen die Sicherheit im Land bald werden herstellen können.
21.12.2011
Von Agner Tandler

"Der Gerechtigkeit ist Genüge getan", verkündete US-Präsident Barack Obama am 2. Mai. In der Nacht zuvor hatten amerikanische Elitesoldaten den Top-Terroristen Osama bin Laden erschossen. Der Tod des Al-Kaida-Chefs in einer Garnisonsstadt in Pakistan markierte einen symbolischen Sieg des Westens. Denn die Ergreifung Bin Ladens war erklärtes Ziel, als internationale Truppen vor zehn Jahren in Afghanistan einmarschierten. Der Drahtzieher der Anschläge vom 11. September 2011 hatte damals im afghanischen Kandahar Zuflucht gefunden.

Darüber hinaus gab der Fortgang des Konflikts in Afghanistan in diesem Jahr wenig Grund zu Optimismus: Seit Anfang 2011 starben mehr als 500 ausländische Soldaten im Kampf gegen die Taliban. Zudem verübten die radikal-islamischen Kämpfer etliche spektakuläre Anschläge; unter anderen schossen sie einen US-Militärhubschrauber mit 30 Insassen ab. Auch erreichte die Zahl getöteter Zivilisten einen neuen Höchststand: Im ersten Halbjahr kamen 1.462 Männer, Frauen und Kinder ums Leben, 15 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. Der Großteil von ihnen starb durch Sprengsätze der Taliban.

Sicher ist, dass der Militäreinsatz von rund 50 Nationen in Afghanistan seinem Ende zugeht. Bis Ende 2014 will der Westen seine Kampftruppen abziehen. Deshalb laufen die Vorbereitungen für die Machtübergabe an afghanische Sicherheitskräfte auf Hochtouren: Die NATO will 350.000 afghanische Soldaten und Polizisten trainieren. Im Sommer 2011 begann die Übergabe einiger Provinzen in die Verantwortung der Afghanen - dabei handelt es sich jedoch um weniger umkämpfte Gebiete.

Experten glauben nicht, dass Karsai schon bald das Land kontrollieren kann

Westliche Experten sind indes pessimistisch, dass Präsident Hamid Karsai und seine Streitkräfte schon bald in der Lage sein werden, das Land zu kontrollieren. Wenn dies tatsächlich nicht gelingt, dürften die Taliban ein leichtes Spiel haben, sobald sich die internationale Gemeinschaft vom Hindukusch zurückgezogen hat. Wie sehr die afghanischen Streitkräfte noch auf westliches Geld und Unterstützung angewiesen sind, zeigen nüchterne Zahlen: Für das Training von Soldaten erhielt Afghanistan allein in diesem Jahr acht Milliarden Euro. Auch nach 2014 werden die Armee-Kosten auf mindestens sechs Milliarden Euro pro Jahr geschätzt.

Insgesamt kamen in diesem Jahr mehr als 90 Prozent des 13 Milliarden Euro umfassenden afghanischen Haushaltes von internationalen Geldgebern. Das Land hängt am Tropf der internationalen Gemeinschaft. Die Weltbank warnte kürzlich vor einem Kollaps der afghanischen Wirtschaft, wenn 2014 die NATO vom Hindukusch abzieht.

Offen ist auch, wie die politische Ordnung nach dem Abzug der ausländischen Truppen aussehen wird. Da die Taliban militärisch nicht zu besiegen sind, sollen Verhandlungen die Lösung bringen. Doch die Angelegenheit ist verfahren - bislang ist kein Versuch geglückt, wirklich aussichtsreiche Gespräche mit den Aufständischen auf den Weg zu bringen.

Wenig Hoffnung auf einen Friedensdeal mit den Taliban

Ex-Präsident Burhanuddin Rabbani, der die Verhandlungen mit den Taliban führte, wurde im September von einem Turban-Bomber in seinem Haus getötet. Selbst Rabbani hatte zuletzt kaum mehr Hoffnung verbreitet, dass ein Friedensdeal mit den aufständischen Taliban erreicht werden könnte.

Der Mord an Rabbani gehörte zu einer ganzen Reihe tödlicher Anschläge auf hochrangige Regierungs-Mitglieder: Im Juli wurde der einflussreiche Bruder von Präsident Hamid Karsai, Ahmed Wali Karsai, in seinem Haus in Kandahar getötet. Auch andere wichtige Verbündete des Präsidenten wurden 2011 umgebracht. Die Regierung wurde dadurch weiter geschwächt. Die umstrittene Parlamentswahl, um deren Ergebnisse monatelang gestritten wurde, lähmte das politische System zusätzlich.

Im Dezember trafen sich Vertreter aus 85 Staaten in Bonn, um über die Zukunft Afghanistans zu beraten. Zehn Jahre nach der ersten Bonn-Konferenz unmittelbar nach dem Sturz des Taliban-Regimes ging es nicht mehr um klangvolle Ziele wie Demokratie und Menschenrechte - sondern nur noch um Schadensbegrenzung und einen geordneten Rückzug.

epd