Technik, die (nicht immer) begeistert

Technik, die (nicht immer) begeistert
Der Begriff ist in der Gesellschaft weitestgehend unbekannt, dabei wird er immer wichtiger: Technikfolgenabschätzung. "Ich selbst habe das Wort erst 1990 zum ersten Mal wahrgenommen, als ich in der Tageszeitung darüber las", sagt Armin Grunwald, der heute als Koryphäe auf dem Gebiet gilt. Ein Überblick über die aufstrebende Disziplin.
02.12.2011
Von Franziska Badenschier

Was ist Technikfolgenschätzung?

Technik und Technologien prägen unseren Alltag, unsere Gesellschaft, unsere Welt. Neue Entwicklungen sollen Probleme lösen – und bringen doch immer wieder neue Probleme oder zumindest Verunsicherung mit sich: Macht Handystrahlung krebskrank? Hat das neue Medikament wirklich keine Nebenwirkungen, auch wenn ich es monatelang einnehme? Und kann Deutschland komplett ohne Energie aus Kernkraftwerken auskommen? Die Technikfolgenabschätzung soll helfen, Antworten auf diese und zahlreiche andere Fragen zu finden.

So sollen Risiken, die neue Techniken mit sich bringen können, frühzeitig erkannt werden. Kulturelle, ökologische, politische, rechtliche, soziale und wirtschaftliche Auswirkungen sollen analysiert werden. Auch unterschiedliche Interessen und Werturteile sollen dargestellt werden. "Schließlich entwickeln wir Optionen, wie es mit dem neuen Trend, mit der neuen Technik weitergehen kann", sagt Armin Grunwald. "Wir maßen uns aber nicht an, der Politik einen bestimmten Weg vorzugeben."

Woher kommt diese Forschungsdisziplin?

Die Forschungsdisziplin entwickelte sich vor einem halben Jahrhundert in den USA unter dem Begriff "Technology Assessment", kurz "TA". Bald darauf wurde das Forschungsgebiet in Europa bekannt. Als in Deutschland der Technikoptimismus einer Technikskepsis wich, wurde auch hierzulande nach der Technikfolgenabschätzung gefragt.

Mit welchen Methoden arbeitet die Technikfolgenabschätzung?

Technikfolgenabschätzung gelingt nicht mit einer einzigen Forschungsmethode, sondern immer nur im Mix aus verschiedenen Ansätzen. Zu den üblichen gehören Brainstorming, Dokumentenanalyse, Expertenbefragung, Fachliteratur-Recherche, Fallstudien, Kosten-Nutzen-Analysen und Simulationen. Der typische Ablauf einer Untersuchung sieht so aus: Zuerst wird das Problem definiert. Dann wird die Technologie beschrieben und vorhergesagt, wie sie sich weiterentwickeln kann. Dann wird dargestellt, was die Technologie für Betroffene und für die Gesellschaft bedeutet. Daraufhin werden mögliche Folgen identifiziert, analysiert und mitunter auch bewertet. Schließlich werden politische Handlungsoptionen herausgearbeitet und die Resultate in einem Bericht oder Gutachten zusammengefasst.

Wer führt so etwas durch?

In Deutschland gibt es verschiedene TA-Einrichtungen. Eine der bedeutendsten ist das Institut für Technikfolgenschätzung und Systemanalyse (ITAS) am Karlsruher Institut für Technologie (KIT); Armin Grunwald leitet das ITAS seit 1999. Eine weitere wichtige TA-Einrichtung ist das Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB), das 1990 als wissenschaftliche Beratungseinrichtung für das Parlament gegründet wurde und vom ITAS betrieben wird. 125 Gutachten, 17 Hintergrundpapiere sowie zwölf Diskussionspapiere hat das TAB mittlerweile veröffentlicht, von A wie Abgeordnetenwatch.de bis Z wie Zielgruppenorientiertem eLearning für Kinder und ältere Menschen. Außerdem gibt es verschiedene Netzwerke, zum Beispiel das europäische Netzwerk von 18 Einrichtungen der parlamentarischen Technikfolgenabschätzung EPTA und das deutschsprachige "Netzwerk TA".

Bei welchen Themen hat die Technikfolgenabschätzung etwas gebracht?

"Mit einem TAB-Gutachten von 2003 waren wir beispielsweise die ersten gewesen, die auf die mögliche Gefahr von Nanoteilchen hingewiesen haben, noch bevor Greenpeace und andere Organisationen sich dem Thema zuwendeten. So haben wir der Politik ermöglicht, früh zu handeln", sagt Armin Grunwald nicht ohne Stolz. Daraufhin habe die Regierung auch tatsächlich schnell nanotoxikologische Forschung gefördert. Der jüngste Meilenstein betrifft nicht eine bestimmte Technik, sondern die Forschungsdisziplin ganz allgemein, berichtet Armin Grunwald: "Deutschland ist dieses Jahr Präsident des EPTA-Netzwerkes. Und dabei haben wir es geschafft, neue Kontakte zu Ländern zu knüpfen, in denen Technikfolgenabschätzung noch keine bedeutende Rolle spielt: vor allem nach Chile, China, Australien sowie – angesichts der Katastrophe von Fukushima besonders wichtig – nach Japan."

Welche Themen sind gerade angesagt?

Wichtig ist Technikfolgenabschätzung bei sogenannten "Hope, Hype and Fear"-Technologien. Die drei Worte stehen für Hoffnung, Aufbauschen und Angst. Diese Techniken sollen globale Probleme lösen können (Hoffnung). Dabei wecken sie Erwartungen und elektrisieren Medien wie Menschen (Hype). Allerdings sind die Folgen nur schwer abzusehen, weswegen auch negative Folgen befürchtet werden (Angst). Zu diesen Technologien gehören die Synthetische Biologie und Climate Engineering.

Bei der Synthetischen Biologie geht es darum, künstliches Leben herzustellen und so die Gentechnik zu revolutionieren. Beim Climate Engineering geht es darum, mit Hilfe von Technik in Umweltkreisläufe einzugreifen und so den Klimawandel zu bremsen, etwa indem man ein "Gegengift" zu Kohlendioxid ins Weltall bringt.

Wie wird man TA-Forscher?

"Krumme Biographien sind in unseren Kreisen nicht ungewöhnlich", sagt Armin Grunwald, der selbst erst in Theoretischer Physik promovierte und sich dann in Philosophie habilitierte. "Oft sind es Chemiker, Physiker oder Ingenieure, die gemerkt haben, dass ihre Arbeit gesellschaftlich brisant ist, und die sich daraufhin mit den ethischen und sozialen Folgen ihrer Arbeit auseinandersetzen wollten."


Franziska Badenschier ist freie Wissenschaftsjournalistin.