Die Festspiele aus der Portokasse

Die Festspiele aus der Portokasse
Schon der Rückzug auch nur eines Sponsors kann fatale Folgen haben. Ob Wernigerode oder Wildbad - kleine Klassikfestivals leben, nicht zuletzt dank privater Initiativen.
09.09.2011
Von Ralf Siepmann

"Ich lade gern mir Gäste ein…" Die Bravourarie des Prinzen Orlofsky ist diesmal Programm. Auf dem Schlossberg über dem Harzstädtchen Wernigerode verzückten ein junges Sängerensemble und das ortsansässige Philharmonische Kammerorchester mit der "Fledermaus" von Johann Strauß. Seit 16 Jahren pflegt im Sommer ein Publikum auf die Anhöhe über der "Bunten Stadt" zu pilgern. Es sind zumeist Leute aus der Region, auf leichte Unterhaltung eingestimmt und Open Air-Flair erpicht. "Unser Festival hat eben einen Namen", erklärt Lysann Weber, für Management und PR des Orchesters zuständig, den Reiz der "Schlossfestspiele".

"Rossini in Wildbad" - Spezialevent in der Nische

Im Eifelstädtchen Monschau lockte ebenfalls eine Operette, Lehárs "Die lustige Witwe", auf die Burg. Die Aufführungen mit den Kölner Symphonikern und Solisten der Kammeroper Köln fanden ebenso wie die Produktion von Verdis Oper "La Traviata" im Mix mit Popmusikangeboten ihr Publikum. Sechs von neun Veranstaltungen des Festivals "Monschau Klassik" waren ausverkauft, berichtet Bianca Lanio, Leiterin der örtlichen Touristik. 10.000 Besucher insgesamt wurden registriert – fast so viele wie die Kleinstadt Einwohner hat.

Auf seine Weise groß, weil als Spezialevent in der Nische international beachtet, ist "Rossini in Wildbad". Über das seit 23 Jahren bestehende Festival im Schwarzwaldstädtchen mit einem Etat von 500.000 Euro sagt Intendant Jochen Schönleber: "Von der Finanzkraft her sind wir verschwindend: Kaum die Portokasse von Salzburg! Aber wir werden in einem Atemzug mit den ganz Großen genannt." Man teile sich Solisten mit Salzburg, Zürich oder der New Yorker MET.

Die hohe Zeit der kleinen Klassikfestivals

Zwischen Juli und September, wenn die Stadt-, Staats- und Landestheater Ferien machen, ereignen sich in Deutschland kleine Kulturwunder, zumeist Kombinationen aus Natur, Kultur, Tourismusförderung und Imagepflege. Es ist die hohe Zeit der kleinen Klassikfestivals. Von rund 40 weiß allein der Deutsche Bühnenverein. Mit Vorliebe haben sie sich dort etabliert, wo Schlösser, antike Arenen, andere herrschaftliche wie auch kirchliche Gemäuer mit Traditionen und Mythen Orte für derlei Spektakel liefern.

In der "Dom-, Römer- und Siegfriedstadt" Xanten am Niederrhein ist die teilrekonstruierte römische Arena Schauplatz von Ballett-, Musical-, Opern- und Operetteninszenierungen. Schmuggler und Tabakdreherinnen bevölkerten das imposante Rund bei den 29. "Sommerfestspielen" in Bizets "Carmen". Man bot "Classic Meets POP" mit dem Prague Philharmonic Orchestra und den Evergreen "My Fair Lady" von Frederick Loewe.

"Rolandseck Festival" im Zeichen der Kammermusik

Das Arp Museum Bahnhof Rolandseck unterhalb des Rheines Höhen von Remagen ist Szenerie und Kulisse des "Rolandseck Festivals" im Zeichen der Kammermusik. Hier schätzen Besucher die Verbindung Bildender Kunst im Museum mit dem Konzertpodium, wo große kammermusikalische Besetzungen präsentiert werden, regelmäßig in Arrangements für ungewöhnliche Instrumente wie Harfe oder Marimbaphon. Es soll auch Freaks geben, die sich vom Sound der regelmäßig durch den Bahnhof fahrenden Züge angezogen fühlen.

Das Festival steht unter der künstlerischen Leitung von Guy Braunstein, dem Ersten Konzertmeister der Berliner Philharmoniker. Das Konzept, erläutert Verwaltungsleiterin Petra Spielmann, schöpfe aus der Tradition Kurs und Konzert, die Chaim Taub, langjähriger Konzertmeister des Israel Phiharmonic Orchestra, in den 80er Jahren im Bahnhof Rolandseck begründet habe. Ein Alleinstellungsmerkmal? Jedenfalls gab es 2011 schon die sechste Ausgabe des Festivals.

"Bereitschaft, in klassische Hochkultur zu investieren, sinkt"

Ob Wernigerode oder Wildbad – die kleinen Festspiele leben, zumindest die meisten. Doch leben sie auch gut? Es werde von Jahr zu Jahr schwerer, meint Weber, die Veranstaltung zu sichern: "Die Bereitschaft, in die klassische Hochkultur zu investieren, sinkt." Schon der Rückzug auch nur eines Sponsors kann fatale Folgen haben. Insbesondere wenn er eigentlich unverzichtbar ist, wie Wildbad zeigt. "In der Finanzkrise ist uns einer unserer Hauptförderer weggebrochen, eine englische Stiftung", berichtet Schönleber. "Auch die Stadt hat erhebliche Finanzprobleme, aber das Land hat unsere Sonderstellung mittlerweile erkannt und fördert etwas mehr."

Zum Glück für seine Anhänger erwirtschaftet das Rossini-Spektakel einen überproportional hoher Eigenanteil. "Wir erlösen über 60 Prozent des Etats durch Verkäufe von Eintrittskarten, Rechten, Material", lässt sich der Intendant in seinen Finanzplan schauen. Bei einem Gesamtetat von etwa 150.000 Euro wird dagegen gerade mal ein Drittel der Kosten des "Festivals Rolandseck" Spielmann zufolge durch Einnahmen aus Kartenverkauf und Spenden (überwiegend von privater Seite) gedeckt. Zwei Drittel bringt das Land Rheinland-Pfalz ein.
Auch in Wernigerode ist die öffentliche Förderung des Orchesters durch Land, Stadt und Landkreis die Basis für die Existenz des Festivals.

Private Mäzene sichern das Überleben kleiner Festspiele

Was aber wären die kleinen Festspiele ohne private Initiative? "Monschau Klassik" lebt wesentlich von der Unterstützung einflussreicher privater Mäzene. Sie agieren als Gesellschafter des gemeinnützigen Veranstalters (gemeinsam mit der Stadt) und in einem Förderkreis. Hier gibt es einen Schirmherrn, wie in Monschau 2011 den Geschäftsführer des Landesverbands der Jugendherbergen. Dort engagieren sich Menschen aller sozialen Schichten ehrenamtlich. Beim Rolandseck-Festival etwa werden sie in der Einlasskontrolle, beim Programmverkauf sowie in der Künstlerbetreuung eingesetzt.

Diese "Jedermann-Mäzene" legen sich schon seit Jahren während der Festivalwochen aus eigenem Antrieb eine Urlaubssperre auf. "Wir haben viele Freiwillige", sagt Schönleber. "Das Spektrum reicht von unserem Catering Team und den Fahrern vor Ort bis hin zu unseren Recherche-Mitarbeiter, der seit mehr als zwanzig Jahren dabei ist." Auch der Festivalkämmerer wirke schon 16 Jahre lang mit, ehrenamtlich versteht sich.


Ralf Siepmann ist Medienjournalist und freier Autor in Bonn.