Gewalt in Großbritannien fordert erstes Todesopfer

Gewalt in Großbritannien fordert erstes Todesopfer
Die "Schlacht um London" ist voll entbrannt. Inzwischen ist ein 26-jähriger Mann gestorben, er war am Montagabend mit mehreren Schusswunden in einem Auto im Bezirk Croydon gefunden worden. Die Gewalt hat inzwischen alle Stadtteile der britischen Metropole erfasst. Premierminister Cameron hat seinen Urlaub abgebrochen und will heute mit dem Nationalen Sicherheitsrat Gegenmaßnahmen erörtern. Die anglikanische Kirche rief zum Gebet für den Frieden auf.

Der Virus der Gewalt hat London und inzwischen auch mehrere andere Städte Englands voll erfasst. Der Himmel über der britischen Hauptstadt wurde in der Nacht von zahllosen Bränden beleuchtet. Auch in Liverpool, Birmingham und Bristol gingen vermummte Randalierer auf die Straßen und setzten Fahrzeuge und Häuser in Brand. Premierminister David Cameron hat für heute (Dienstag) den Nationalen Sicherheitsrat zusammengerufen, um die Lage zu besprechen. "Was hier passiert, kann einfach nicht entschuldigt werden", sagte Scotland Yard-Chefin Christine Jones zu den Szenen auf den Straßen Londons. "Die Schlacht um London", schrieben britische Zeitungen.

In Ealing im Westen gingen maskierte Jugendliche auf Raubzug und setzten dabei Mülltonnen in Brand. Zahlreiche Schaufenster gingen zu Bruch, berichtete die Agentur PA. "Es sieht aus wie in einem Kriegsgebiet", wurde ein Augenzeuge zitiert. In dem Gebiet waren zunächst nur wenige Polizisten im Einsatz. Im Stadtteil Croydon brannte ein ganzer Straßenzug, aus einem Möbellager schlugen noch in der Nacht meterhoch die Flammen.

Plünderungen bei Sony

Auch in den Stadtteilen Clapham, Peckham, Hackney, Ealing und Lewisham gab es am Montag Krawalle. In Clapham stand in der Nacht zum Dienstag ein Wohnhaus in Flammen, in Ealing brannte laut dem Sender BBC ein Lager des Elektronik-Riesen Sony. Augenzeugen berichteten, dass sich zunächst Plünderer "bedient" hätten, ehe sie das Lager anzündeten. Ein nahe gelegenes Hotel musste evakuiert werden, rund 200 Gäste wurden in Sicherheit gebracht.

Mit Birmingham war am Montag erstmals auch eine Stadt außerhalb Londons betroffen. Dort plünderten Vermummte Juwelierläden und Elektronik-Geschäfte. In der Nacht zum Dienstag setzten sie eine Polizeiwache in Brand. In den frühen Morgenstunden wurden auch aus Bristol Unruhen gemeldet. Auch aus Liverpool kamen in der Nacht erste Berichte über chaotische Szenen, von der Polizei als "isolierte Ausbrüche von Unruhen" umschrieben. Augenzeugen berichteten laut PA, dass mehrere hundert Vermummte in den Straßen vorbeifahrende Autos stoppten, die Insassen zum Aussteigen zwangen und anschließend die Fahrzeuge in Brand setzten.

Angesichts der andauernden Krawalle rief die anglikanische Kirche von England am Dienstag zu Friedensgebeten auf. "Wir bitten um Ruhe in Straßen und Städten", damit die Menschen in Sicherheit und Frieden leben könnten, heißt es in dem Gebet, das die Kirche in London veröffentlichte. Die am Wochenende ausgebrochenen gewaltsamen Ausschreitungen in London haben sich inzwischen auf andere britische Städte ausgeweitet. In die Fürbitte eingeschlossen sind diejenigen, die sich für ein Ende der Spannungen sowie für die Wahrung von Recht und Ordnung einsetzen.

"Zu wenig und zu spät"

Insgesamt waren in London und Birmingham bis Dienstagmorgen fast 350 Verdächtige festgenommen worden, teilte die Polizei mit. Die Polizei schickte in der Nacht zum Dienstag weitere 1.700 Beamte in die "Krisengebiete" Londons. "Zu wenig und zu spät", sagte ein ausgeraubter Geschäftsinhaber dem BBC zu den Polizeieinsätzen.

Plündernde und brandschatzende Banden, die in der Nacht zum Sonntag im Nord-Londoner Stadtteil Tottenham die Randale begonnen hatten, waren schon in der Nacht zum Montag in weitere Stadtteile weitergezogen. Auch Gruppen gewalttätiger Kinder zwischen 10 und 14 Jahren waren unterwegs. Vizepremierminister Nick Clegg sagte, die Randalierer seien "opportunistische Kriminelle". Als vorbeugende Maßnahme gegen weitere Ausschreitungen wurde der im Osten Londons ansässige Erstligist West Ham United von Scotland Yard gebeten, sein Cup-Spiel gegen Aldershot zu verschieben. Auch das am Mittwoch geplante Freundschaftsspiel der englischen Nationalmannschaft gegen die Niederlande wurde abgesagt.

Farbiger von Polizisten erschossen

Die Krawalle hatten in der Nacht zum Sonntag im Problemviertel Tottenham begonnen. Zwei Tage zuvor war dort der 29-jährige Mark Duggan von einem Polizisten erschossen worden. Unklar war, ob der farbige Familienvater, der der Banden- und Drogenszene zugerechnet wird, das Feuer eröffnet hatte. Ergebnisse ballistischer Tests sollen am Dienstag veröffentlicht werden. Randalierer hatten daraufhin in Tottenham Büros, Wohnungen, Supermärkte, Polizeiautos und einen Doppeldecker-Bus in Brand gesetzt und Geschäfte ausgeplündert. Von einigen Häusern blieben nur die Grundmauern übrig. Die Sachschäden an Gebäuden und öffentlichen Einrichtungen gehen in den mehrstelligen Millionenbereich.

Wie konnte es dann soweit kommen? "Die Regierung, die Politik, der Premierminister", das hört man überall in Brixton und Tottenham. "Die Jugendlichen wissen nicht, wo sie hingehen sollen." Viele sind arbeitslos, es fehle an Möglichkeiten der Freizeitgestaltung, an Perspektiven. Die Regierung kürze die Sozialarbeit und verprasse das Geld für Banken und Kriege. Die Jugend sei nicht schuld, sagt eine Frau. "Sie haben doch keine Wahl!" Schuld sei die Regierung. Dennoch: "Das Ausmaß dieser Gewalt hat hier viele überrascht."

dpa