"Ein Hungerstreik ist zu Ende, wenn sie wieder essen"

"Ein Hungerstreik ist zu Ende, wenn sie wieder essen"
Einer der grössten Hungerstreiks von Gefangenen im US-amerikanischen Strafvollzug ist vor wenigen Tagen beendet worden. Tausende von Insassen in mehreren staatlichen Gefängnissen Kaliforniens hatten seit drei Wochen die Nahrungsaufnahme verweigert, um auf die teilweise unmenschlichen Haftbedingungen hinzuweisen und Erleichterungen durchzusetzen.
29.07.2011
Von Max Böhnel

Schon am Wochenende hatte die staatliche Gefängnisbehörde California Department of Corrections and Rehabilitation CDCR das Ende des Streiks in einer kurzen Erklärung bekanntgegeben. Hungerstreiks seien "gefährlich und unwirksam", hieß es darin herablassend. Auf eine Nachfrage von evangelisch.de, ob der Streik wirklich beendet sei, äußerte sich ein CDCR-Sprecher schroff mit den Worten "Ein Hungerstreik ist zu Ende, wenn sie wieder essen".

Erst am Mittwoch äußerten sich mehrere Gefangene aus dem Staatsgefängnis Pelican Bay, wo die Protestaktion am 1. Juli begonnen hatte, mit einer eigenen Erklärung. Der "unbegrenzte Hungerstreik als Mittel friedlichen Protestes gegen zwanzig bis vierzig Jahre Menschenrechtsverletzungen" habe großen öffentlichen Druck hergestellt und damit fürs erste seinen Zweck erfüllt. Hochrangige Beamte der staatlichen Gefängnisbehörde hätten ihnen gegenüber versprochen, "jetzt einen Prozess wichtiger Veränderungen einzuleiten".

Erfolg: Fast alle großen Zeitungen berichteten kritisch

Als vertrauensbildende Maßnahmen genehmigten die Behördenvertreter kleinere Veränderungen im Haftalltag, die auf der Forderungsliste der Hungerstreikenden gestanden hatten. So erhalten sie Wandkalender, Bücher und Allwettermützen. Laut der Erklärung der Häftlinge hat die CDCR außerdem versprochen, den Dialog mit den Strafgefangenen weiterzuführen sowie "die Menschenrechtsverletzungen und die Folter aufzugeben".

Tatsächlich können die Gefangenen und ihre Unterstützergruppen aus Familienangehörigen und Hilfsorganisationen die Enthüllung zahlreicher Misstände in der Öffentlichkeit für sich verbuchen. Fast alle großen Zeitungen in den USA berichteten in der letzten Woche vor der Beendigung des Hungerstreiks kritisch über die Haftbedingungen.

Im Vordergrund standen dabei die berüchtigten Security Housing Units (SHUs), Isolierzellen in Hochsicherheitstrakten. Dort müssen Tausende von Häftlingen, die von den Behörden mit Bandenkriminalität in Verbindung gebracht werden, oft jahrelang unter folterähnlichen Bedingungen verbringen. Manche Häftlinge befinden sich seit 20 oder mehr Jahren in diesen schallisolierten Betonzellen, die gerade drei mal 1,80 Meter groß sind. Sie müssen dort täglich 23 Stunden verbringen. Die eine Stunde "Ausgang" findet ohne Kontakt mit Mitgefangenen in einem winzigen "exercise pen" statt, das an allen vier Seiten von hohen Mauern umgeben ist. Das Dach besteht aus Draht.

30.000 Häftlinge müssen wegen Überfüllung entlassen werden

Viele Forderungen der Streikenden bezüglich der SHUs klingen für Außenstehende trivial, etwa "die Erlaubnis, ein Foto pro Jahr zu haben" oder "ein Telefonat pro Woche". Aber selbst die kleinsten Türchen aus der Totalisolierung heraus machen die Haftbedingungen ein wenig erträglicher. Zu den Hauptforderungen gehört das "Ende der Debriefing-Politik". Denn wer in einer SHU landet, darf sie nur zu ärztlichen Untersuchungen oder – nach Ablauf von sechs Jahren – in Folge von belastenden Aussagen ("debriefing") gegen angebliche Bandenmitglieder verlassen. Aber wer bei den Mitgefangenen als Spitzel auffliegt, wird geächtet und schlimmstenfalls umgebracht.

Ob sich die Behörden an das Versprechen halten, die seit Jahren praktizierten Vollzugsmethoden jetzt unter die kritische Lupe zu nehmen, ist eine offene Frage. Kalifornische Gefangenenhilfsorganisationen werden auf jeden Fall versuchen, den öffentlichen Druck aufrechtzuerhalten. Die Ausgangsbedingungen dafür sind gut. Denn die staatliche CDCR steht seit Ende Mai des Jahres unter Veränderungsdruck, den eine Entscheidung in der US-Hauptstadt Washington erzeugt hat. Wegen der notorischen Überfüllung der kalifornischen Strafanstalten muss die Behörde mehr als 30.000 Häftlinge freilassen. Dies beschloss das höchste Richergremium in den USA, der Oberste Gerichtshof.


Max Böhnel arbeitet als freier Journalist in New York.